Augentäuschereien im Zumikon
4.3.2010, 00:00 UhrErster Eindruck: Wo sind wir hier? Befinden wir uns in einem Kraftwerk megalomanischen Ausmaßes? Oder stecken wir unter einer Motorhaube und inspizieren den Kühlergrill? Bianca Schellings Gemälde präsentieren gigantische Turbinen, Ventilatoren und Windkanäle mit Kabeln und Rohren. Ihre Maltechnik (mehrere Lasuren Tusche auf Aluminium) verleiht den Industrievisionen bei aller Schwere etwas Leichtes, quasi Organisches. Allerdings verweigert Bianca Schelling jeden Größenmaßstab. Kein Mensch, kein Lebewesen verirrt sich in ihre High-Tech-Kammern.
Dasselbe gilt für ihre architektonischen Visionen. Lange Fluchten, überdacht von geschwungenen Trägern aus undefinierbar metallischer Substanz, deren Staffelung sich im Unendlichen verliert. Ruinenromantik nach dem Aussterben der Menschheit? Ein kalter Hauch aus «Metropolis» durchzieht Schellings Gemälde, auch wenn die Künstlerin zugibt, Fritz Langs Meisterwerk nie gesehen zu haben.
Die Schweizerin Esther Kempf hingegen greift nicht zum Farbkasten, sondern zu Campingtisch und Videokamera. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein vermüllter Küchentisch mit umgekippten Milchtüten, Backpapier, Zuckerhaufen und allerlei Holz und Plastikteilen auf dem Boden, das entpuppt sich als Vexierbild. Daneben steht nämlich ein Monitor, der eine imaginäre Landschaft zeigt. Ein Häuschen, eine Ebene, eine Straße, die ins Irgendwo führt, und darüber ein bleierner Himmel mit Schäfchenwolken. Ab und zu blitzt ein weißer Punkt die Straße entlang. «Na und?», fragt sich der Betrachter. Doch dann entdeckt er die Videokamera schräg über dem Tisch.
Und nun fällt der Groschen: Das Trickbild auf dem Monitor ist die reale Perspektive der Kamera: der graue Himmel ist das Backpapier, die Wolken bestehen aus Zuckerhaufen. Die Straße ist ein Stück spitz zulaufendes Plastik, und das Häuschen ein Konstrukt aus einem Holzbalken und Pappe. Die Kamera übersetzt den dreidimensionalen Raum in ein zweidimensionales Bild – und das Auge lässt sich täuschen und interpretiert eine andere Wirklichkeit. Und der rasende Lichtpunkt auf der «Straße»? Ist ein fallender Milchtropfen aus der Tüte.
Nach dem Prinzip des Vexierbildes gestaltet Esther Kempf auch einen imaginären Tisch aus Pümpel, Klopapier und ausgerissener Tapete. Oder sie arrangiert Streichhölzer auf dem Boden so, dass für einen kurzen Moment ihre Schatten einen geschlossenen Ring ergeben. Verblüffend! Reinhard Kalb
Zumikon und Lounge im Zumikon, bis 24. April. Di.–Sa. 17–20 Uhr.
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