Aus Fehlern lernen
16.06.2012, 07:04 Uhr
Das Album „This Is PiL“ knüpft dort an, wo Ihre Band PiL aufgehört hat: groovender Dub-Rock, schwere Bässe, unverkennbare Schimpfgesänge und ironische Wortspiele. Warum haben Sie an dieser Gruppe nie das Interesse verloren?
John Lydon: Warum sollte ich? PiL hat die Rockmusik von Grund auf erneuert. Ich bin ein stolzes Mitglied dieser Organisation. Als sich die Gelegenheit bot, die Gruppe wiederzubeleben, habe ich sie genutzt. Durch einen Knebelvertrag war PiL für längere Zeit zum Nichtstun verdammt. Ich befand mich quasi in der Warteschleife (lacht). Unseligerweise sollte es 20 Jahre dauern, bis unser alter Vertrag ausgelaufen war. Das Geld für unser Comeback habe ich selbst aufgetrieben.
Ist es nicht unfassbar frustrierend, wenn man als kreativer Künstler zum Nichtstun gezwungen wird?
Lydon: O ja! In solch einer Extremsituation musst du zusehen, dass du nicht einrostest oder dich in Selbstmitleid suhlst. Bei PiL kenne ich einfach keine Kompromisse. Ich werde den Teufel tun und die Integrität dieser Band aufgrund des Drucks irgendeiner Plattenfirma aufgeben. Wir sind mit den fertigen Aufnahmen zu diversen großen Labels gegangen. Es war saukomisch. Unsere ehemalige Plattenfirma EMI zum Beispiel war regelrecht geschockt. Ich meine, sie mochten schon die Musik, aber sie konnten nicht begreifen, wie man PiL vermarkten sollte. Ich bin auf keinem persönlichen Rachefeldzug, ich wollte wirklich, dass sie sich unsere Musik ernsthaft anhören. Das hat einiges klargestellt. Die Majorlabels konnten uns nichts anbieten, das wir akzeptiert hätten.
Der Übergang von den Sex Pistols zu PiL war begleitet von Prozessen, die Sie damals an den Rande des Ruins führten. Warum gilt dieser störrischen Band Ihre ganze Aufmerksamkeit und nicht den wesentlich erfolgreicheren Sex Pistols?
Lydon: Ich liebe beide Bands. Aber mit PiL kann ich meine Gefühle viel besser ausdrücken. Mit den Sex Pistols habe ich mich erstmals damit auseinandersetzen müssen, wie man in einer Bandkonstellation Songs schreibt. Ich habe mich mit Streitthemen, Institutionen und Regierungen auseinandergesetzt. Die Sex Pistols haben mir sehr viel bedeutet in der damaligen Lebensphase. Aber mit dieser Geisteshaltung kann ich nicht ewig weitermachen. Der Mensch verändert sich. Ich bestehe heute nicht mehr aus Aggressionen. Hinter PiL stecken viele Denkprozesse. Das Wichtigste, was einem Menschen passieren kann, ist durch seine eigenen Fehler zu lernen und diese zu akzeptieren. Nicht viele schaffen das, mir jedenfalls bereitet es große Freude.
Bei PiL hört man einen starken Krautrock-Einfluss heraus. Was ist dran an dem Gerücht, dass Sie nach dem Ende der Sex Pistols Sänger bei der Kölner Band CAN werden wollten?
Lydon: Das ist kompletter Nonsens. Warum hätte ich das tun sollen? Ich wollte immer mein eigenes Ding machen. Nichtsdestotrotz sind CAN und auch Kraftwerk Teil meiner musikalischen Sozialisation. Ich liebe ihre Musik wie ich alle Kulturen dieser Welt bewundere. Musik hilft dabei, Probleme und Aggressionen zu nivellieren. Deutschland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Menge Probleme. Das Land hatte nie eine eigene musikalische Stimme, bis die Elektronik aufkam. Plötzlich war Deutschland von warmen und manchmal auch klamaukhaften Klängen erfüllt, weil junge Leute die Rhythmen der Marschmusik in Elektronik übersetzt und daraus einen neuen, faszinierenden Sound kreiert hatten. Deutschland hatte endlich seine eigene Stimme gefunden.
In den 80ern gehörten Koryphäen wie Steve Vai und Ginger Baker von Cream zeitweise zu PiL. Auch von Miles Davis ist die Rede.
Lydon: Miles Davis war einer der vielen Gefährten, denen ich in der Anfangszeit von PiL begegnete. Von ihm ging eine große Faszination aus. Seine Musik war atemberaubend, fast schon beängstigend intensiv. Aber er hatte auch Respekt vor meiner Arbeit. Das, was Miles auf der Trompete spielte, ist vergleichbar mit dem, was ich mit meiner Stimme mache. Wir befanden uns in derselben Zone, nur mit verschiedenen Instrumenten. Die Musik, die wir zusammen aufgenommen hatten, passte aber nicht zu dem Projekt, an dem ich gerade schraubte.
Die Sex Pistols haben kürzlich einen Vertrag mit der Universal Music Group abgeschlossen. Remaster-Fassungen des Albums „Never Mind the Bollocks“ sowie des Soundtracks „The Great Rock’n’Roll Swindle“ wurden soeben veröffentlicht. Kommt da noch mehr?
Lydon: Mit den Pistols bin ich durch. Mit den Wiederveröffentlichungen habe ich persönlich nichts zu tun, ich mache dafür keine Promotion. Das ist gesünder für mich. Nichtsdestotrotz finde ich es toll, dass sich unsere Platten noch immer verkaufen. Auf die alten Songs bin ich genauso stolz wie auf die neuen. Sie gehören zu meinem Leben dazu.
Sie haben es abgelehnt, mit den Sex Pistols im Rahmen der Olympiade in London zu spielen. Sind denn andere Gigs mit dieser Band geplant?
Lydon: Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass ich für die Sex Pistols keine Songs schreiben kann. Jede Idee, die mir in den Kopf schießt, fließt instinktiv in PiL ein. Ich folge nur meinem Herzen und meiner Seele.
Aktuelle CDs: Public Image Ltd, „This Is PiL“ (Cargo); Sex Pistols, „Never Mind The Bollocks — Remastered“ (Universal)
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