Bloß nicht berühmt werden!

20.4.2017, 14:00 Uhr
Bloß nicht berühmt werden!

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Im Mittelpunkt steht ein Ich-Erzähler, der sich in Anlehnung an den legendären Beatles-Manager Brian Epstein "Äppstiehn" nennt und der als Hilfskraft in einem Hotel gearbeitet hat. Er flaniert ziellos durch den Alltag des bröckelnden Sozialismus, ehe er nach einem Pflichttermin beim Wehrkreiskommando eine Art "musikalisches Erweckungserlebnis" hat. Er hört den Sound einer Rockband, ist sofort von der Musik infiziert und freundet sich mit den Bandmitgliedern Sebastian, André, Rainer, Micha und Silke an.

Die Songs gehören überhaupt nicht zum staatstragenden Liedgut der DDR, wirken ein wenig wie politischer Underground vom Ost-Berliner Hinterhof, ohne wirklich subversive Energie zu versprühen. Die Freude an der Musik, die Lust am Anderssein treibt das Quintett mit dem programmatischen Namen "Die Seuche" an. Äppstiehn wirbelt im Umfeld der Band als eine Art Manager umher, vermittelt Auftritte und teilt mit den Musikern den zaghaft artikulierten Protest: "Ohne Musik ist das alles nicht auszuhalten". Zum Selbstverständnis der Band gehört, dass sie sich nicht "verbiegen" lassen und um jeden Preis verhindern will, berühmt zu werden. Misserfolg wird als idealistisches Lebensgefühl gefeiert.

Brussig hat vermutlich durch die größer gewordene Distanz zur Handlungszeit zu einem neuen, viel flotteren Erzählton gefunden. Weit weniger ausufernd, dafür aber mit spürbar großer Empathie. Man meint, er verdrückt sich die eine oder andere Träne, wenn er vom Auseinanderfallen der Band in der Nachwendezeit erzählt. Eine Gesellschaft erfindet sich neu, andere Normen und Werte etablieren sich rasant. Fressen oder gefressen werden, ist angesagt.

"Früher war Musik das Wichtigste. Jetzt ist es das Geld", beklagt Äppstiehn, der später Jura studiert und die Bandmitglieder noch einmal zu einem letzten gemeinsamen New York-Abenteuer überreden kann. Aus den Nonkonformisten werden brave Spießbürger. "Die Westverwandten bewegten sich lässiger, lachten lauter und hatten eine Haut, die mehr Sonne abgekriegt hatte, weshalb sie immer wie Gewinner wirkten." In diesen Beobachtungen der Figuren vermischen sich Bewunderung und Verachtung.

"Beste Absichten" ist ein anekdotenreiches Schelmenstück über das Scheitern, dem Brussig drei "wahre", aber beinahe unglaubliche Geschichten aus dem sozialistischen Alltag vorangestellt hat. Eine handelt von einem Septembersonntag 1976, als in Zschopau der nicht linientreue Kugelstoßer Ralf Oesterreich einen Weltrekord schaffte, der nie in die Rekordbücher einging.

Lukas Podolski der Literatur

So kurios und absurd, wie im Rückblick die historisch verbürgte Episode um den Kugelstoßer klingt, liest sich auch Brussigs Geschichte um die Musiker der Band "Die Seuche", die nichts mehr verachten als den Erfolg. Das ist so herrlich humorvoll arrangiert und dem Geist der einfachen, aber etwas unbequemen Leute abgelauscht, dass man sich ein wenig an die Schelmenstreiche von Zuckmayers Schuster Wilhelm Voigt erinnert fühlt.

"Beste Absichten" ist stilistisch nicht bis ins letzte Detail ausgefeilt. Ganz im Gegenteil – sprachlich hakt und knackt es an manchen Stellen, aber der saloppe Erzählton verleiht dem Roman ein Höchstmaß an Authentizität. Thomas Brussig wirkt in diesem Roman ein wenig wie ein Lukas Podolski der Literatur – sprachlich manchmal herrlich ungelenk, aber erfrischend ehrlich und echt und immer für einen Spaß zu haben.

Thomas Brussig: Beste Absichten. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt. 190 Seiten, 18,50 Euro.

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