Club der toten Dichter

5.9.2016, 11:09 Uhr
Club der toten Dichter

© Foto: afp

Das ist das Requiem einer Überlebenden, die so viele Menschen, mit denen sie verbunden war, verloren hat. Patti Smith lebt inzwischen allein mit ihren Katzen in New York. Vor allem ihren verlorenen Männern trauert die „Godmother of Punk“ hinterher. Inzwischen ist sie, die Ende des Jahres 70 wird, mehr Literatin als Sängerin und Gitarristin. Mit ihrem Debütalbum „Horses“ (1975) hat sie Rockmusikgeschichte geschrieben. Die Künstlerin war aber immer auch Dichterin, Malerin und Fotografin.

Mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe, den sie geliebt hat, bis er an Aids starb, hatte sie ein ambivalentes Verhältnis. Der Dramatiker Sam Shepard zog die Mitzwanzigerin in eine schmerzhaft heftige Affäre. In Fred „Sonic“ Smith fand sie einen Ehemann, mit dem sie glücklich werden wollte; der Musiker der legendären Band MC 5, mit dem sie zwei Kinder hat, starb 1994 an einem Schlaganfall. Auch die Eltern, bei denen sie in Philadelphia aufwuchs, der Vater Fabrikarbeiter im Nachtschicht-Modus, die Mutter streng gläubig, sind nicht mehr da. So viele Tote.

Sie kehren in diesem Buch zurück, sprechen mit ihr, begleiten sie durch ihre Träume. Sam Shepard tritt als „gutaussehender Cowboy“ auf, und Fred Smith ist übermächtig präsent und hält mit ihr Zwiesprache.

„M Train“ steht für Mystery Train. Oder Mental Train. Es waren die Reisen mit diesen Männern, an die sie sich zurückdenkt. Quer durch die USA, nach Berlin, Tokio, Mexiko, Tanger oder Französisch-Guyana. Ein Leben mit „Uhr ohne Zeiger“. Es geht nicht um eine Chronologie, es geht um Affären. Als bekennender „Koffein-Junkie“ ging sie jeden Tag in ihr New Yorker Lieblingscafé, die Notizbücher füllten sich. Wir lesen, was Patti Smith einfällt. „Der Schriftsteller ist ein Zugführer“, sagt der Cowboy in ihren Träumen, Sam Shepard, dem sie „M Train“ gewidmet hat. Fast telepathisch kommuniziert sie mit ihm.

Das Buch ist aber auch dem Club ihrer toten Dichter gewidmet. Smith erzählt von Frida Kahlo, die sie sehr schätzt. Die war mit dem Maler Diego Rivera verheiratet, das Ehepaar wohnte im blauen Haus in Mexiko City, heute ein Museum. Smith besucht es, erlebt einen Schwächeanfall, darauf bietet ihr die Museumsdirektorin an, in Riveras Bett zu steigen und auszuruhen. Der Maler war nicht immer nett zu seiner kranken schönen Frau, hier nun spürt Smith Frida Kahlos „unverwüstliches Leiden, das einherging mit ihrem revolutionären Feuer“.

Andacht hält sie auch bei Michail Bulgakow, Jean Genet, Bertolt Brecht und anderen. Sie reist um die halbe Welt zu deren Gräbern. Das ist ein Buch intimer Momente. Patti Smith teilt sie ihren Lesern mit und geht sehr weit. „Du warst schon zu lange weg“, schluchzt sie auf einem Flug, bei dem sie an Fred Smith denkt. Die Tränen fließen, die Erinnerung ist stark. So nahe können Tote einer Überlebenden sein.

Patti Smith: M Train. Erinnerungen. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 334 Seiten, 19,99 Euro.

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