Nürnberger Ballett ist zurück

Das Ensemble von Goyo Montero feierte umjubelte Premiere nach dem Lockdown

13.7.2021, 09:47 Uhr
Das Ensemble von Goyo Montero feierte umjubelte Premiere nach dem Lockdown

© Foto: Jesús Vallinas/Staatstheater Nürnberg

Der Jubel war trotz der Corona-bedingt sehr übersichtlich besetzten Reihen groß und auch ohne die Extradosis Wiedersehensfreude nach achtmonatigem Lockdown mehr als verdient. Mit dem Dreiteiler "Goecke/Godani/Montero" bewies das Ballettensemble des Nürnberger Staatstheaters einmal mehr seine fantastische, stilistische Wandlungsfähigkeit.

Die größte Herausforderung war dabei fraglos Marco Goeckes "Woke up Blind" – nach "Thin Skin" bereits die zweite Choreografie, die der 2019 von Stuttgart ans Staatsballett Hannover gewechselte Superstar des zeitgenössischen Balletts dem Ensemble von Goyo Montero anvertraut hat. Nur 15 Minuten kurz markierte "Woke up Blind" gleich zu Beginn den Höhepunkt des Abends.

Der für Goecke typische hypersensitive Stil hält die Körper der zwei Tänzerinnen und fünf Tänzer beständig unter höchster Anspannung. Flirrende Hände, weit ausholende Arme und Beine wechseln mit schneidend scharfen oder zitternden Bewegungen. Im rasanten Tempo folgt ein Solo auf das andere, die Duette münden nur selten in die ersehnte Umarmung.


Als Ballett-Superstar Marcus Goecke das erste Mal in Nürnberg gastierte


Goecke hat sich zu diesem Stück, das an existenzielle Gefühle rührt, von zwei Songs des unter tragischen Umständen mit nur 30 Jahren ums Leben gekommenen Rockmusikers Jeff Buckley inspirieren lassen. Die Verletzlichkeit, die in dem elegischen Liebeslied "You and I" erklingt, spiegelt sich ergreifend im Tanz, der dann beim von schnellen Gitarrenriffs angetriebenen "The way young lovers do" zum stürmisch bewegten Widerhall der Musik wird.

Ballett hyperelegant und artistisch bietet Jacopo Godanis Kreation "Metamorphers".

Ballett hyperelegant und artistisch bietet Jacopo Godanis Kreation "Metamorphers". © e-arc-tmp-20210706_141646-2.jpg, NNZ

Gleichfalls konzentriert auf Bewegung, Musik und Licht ist Jacopo Godanis "Metamorphers", das der Direktor der Frankfurt Dresden Dance Company zu Béla Bartóks "Streichquartett Nr. 4" kreiert hat. Auch sein Stück stellt höchste Ansprüche an die sechs Tänzerinnen und sieben Tänzer. Zu den mal schroffen, mal flirrend schnellen Streicherklängen bilden sie immer wieder neue Ensemble-Formationen, aus denen sich kurze Solos, Duette, Quartette herauslösen. Auf spielerisches Kräftemessen folgen abrupte Stopps, hyperelegant fließende Bewegungen enden in Figurenaufstellungen, denen die hochgestreckten oder scharf abgewinkelten Arme und gespreizten Finger etwas Arabeskenhaftes verleihen.

Das Ensemble von Goyo Montero feierte umjubelte Premiere nach dem Lockdown

© Foto: Jesús Vallinas/Staatstheater Nürnberg

"Metamorphers" ist in seiner Artistik und Rasanz Hochleistungsballett, das sich – durchaus charmant – den Anschein des Ausprobierens der physischen Möglichkeiten des Tanzkörpers gibt. Bei aller Faszination bleibt dabei aber auch ein Eindruck von Künstlichkeit.

Für den buchstäblich knalligen Kontrast zu den hochästhetischen Vorgängerstücken sorgt der Nürnberger Ballettchef. Monteros Neukreation "Blitirí" huldigt der puren Lust am Tanz. Dafür bieten Mozarts virtuos-witzige Klaviervariationen über Christoph Willibald Glucks "Unser dummer Pöbel meint" mit ihren hämmernden Anschlägen und rasend schnellen Läufen sowie Bobby McFerrins Vokal-Version des Beatles-Songs "Blackbird" großartige Vorlagen.


Goyo Montero und sein Heimatgefühl


Monteros Hauskomponist Owen Belton steuert einen fauchenden, kratzenden Sound hinzu, wenn sich die in plastikbunte, Gendergrenzen bewusst aufhebende Fantasiekostüme gekleideten drei Tänzerinnen und sechs Tänzer unter einem Himmel aus schwarzen Luftballons aus ihrem Pulk lösen und die Bühne erstürmen. Zitternd, zappelnd, sich tragend, in die Höhe werfend, mit akrobatischen Drehungen, in kraftvollen, auch zärtlichen Pas de deux wird "Blitirí" zu einem Fest ausgelassener Bewegungsfreude, das zu PJ Harveys wütend-verzweifeltem Liebeslied "Rid of me" erst leise, dann schrill ins Chaos kippt.

Wenn dann die Ballons vom Himmel fallen und im wilden Aufruhr zerplatzen, gleicht die Bühne einem Schlachtfeld. Ein irritierender, aber auch toller Schluss, mit dem sich Montero von einer bisher so noch nicht erlebten Seite zeigt.

Weitere Aufführungen: 13., 16., 20., 22. und 25. Juli; www.staatstheater-nuernberg.de

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