Das Publikum darf Richter spielen

15.2.2016, 12:28 Uhr
Das Publikum darf Richter spielen

© Bührle

Gilt die Menschenwürde von 164 unschuldigen Passagieren mehr als das Leben von 70 000 Fußballfans? Ist es erlaubt, eigenmächtig einen Airbus abzuschießen, damit andere überleben? Die Entscheidung des jungen Piloten klingt erstmal einleuchtend: Die Mehrheit soll überleben angesichts der Drohung, dass sowohl Passagiere als auch Zuschauer bei dem Anschlag umkommen.

Doch so einfach ist die Rechtslage nicht. Bestsellerautor und Jurist Ferdinand von Schirach hat die vertrackte Gemengelage von Recht und Moral, von Gesetz und Bauchgefühl in ein Gerichtsdrama verpackt, das jetzt in den Nürnberger Kammerspielen Premiere hatte. Der Richter (Heimo Essl) macht gleich klar: Auf uns, die Zuschauer, kommt es an, wir sind die Schöffen, die am Ende über schuldig oder nicht schuldig entscheiden. Dafür hat der Autor eigens zwei Schlussteile geschrieben, je nachdem, wie die Zuschauer abstimmen.

Regisseur Frank Behnke hat sich in der für ihn schon typischen Schwarz-Weiß-Ästhetik ganz auf die Dialoge und Monologe konzentriert. Der Richter, der Angeklagte (Martin Bruchmann), sein Verteidiger (Christian Taubenheim), die Staatsanwältin (Adeline Schebesch), eine Nebenklägerin (Josephine Köhler) und der Vorgesetzte des Angeklagten (Marco Steeger) legen nacheinander ihre Ansicht der Vorgänge dar. Das klingt zunächst wenig theatralisch, aber es wird spannend.

Denn all dem liegen reale Ereignisse zugrunde: Nach den Anschlägen vom 11. Semptember 2001 beschloss der Bundestag, den Abschuss von Passagierflugzeugen, die von Terroristen als Waffe missbraucht werden sollen, zu erlauben. 2006 kassierte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz: Denn kein Leben darf gegen ein anderes aufgewogen werden.

Dass nicht jeder das so sieht, war in der Pause und vor der Abstimmung deutlich im Publikum hörbar. Das Stück hat erreicht, was es sollte: Eine heiße Diskussion.

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