Der endlose Kreislauf der Gewalt

10.12.2018, 16:58 Uhr
Der endlose Kreislauf der Gewalt

© Foto: Konrad Fersterer

Um es gleich vorweg zu sagen: Wer sich von diesem Abend eine linear nacherzählte Geschichte des blutrünstigen Triebtäters und gewaltbereiten Tyrannen erwartet, muss sich wie im falschen Film vorkommen. Denn Regisseur Philipp Preuss hat in Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen Sascha Kölzow etwas ganz anderes vor. Er nimmt die Shakespeare-Tragödie als Fundgrube für Textbausteine ("Ich habe die Tat getan", "Blut will Blut"), schrumpft die Handlung und das Personal auf ein Minimum ein und lässt die destillierte Essenz in einer Art Endlosschleife ablaufen.

In der Musik nennt man das Loop, wenn eine kurze Tonfolge eingespielt, dann mehrfach wiederholt und mit anderen Sequenzen vermischt wird. Die Reaktion ist wie bei einer alten Vinyl-Schallplatte, die einen Sprung hat, oder bei der Warteschleife des Telekom-Kundenservice: Es wirkt entweder nervig oder bewusstseinserweiternd.

Rastloses Rotationsprinzip

Die männlichen Hauptfiguren der Inszenierung sind nur König Duncan, Macbeth und sein ursprünglicher Kompagnon Banquo. Diese werden im rastlosen Rotationsprinzip von vier Schauspielern mit großem physischen Einsatz dargestellt: Julia Bartolome, die in der Vergangenheit schon als Richard III. ihren Mann gestanden hat, Yascha Finn Nolting, Felix Mühlen und Raphael Rubino. Zu ihnen gesellt sich als einzige klar identifizierbare Einzelperson die Männer-Flüsterin Lady Macbeth von Lisa Mies. Mit jenem Personen-Quintett wird in sechs Schleifen das Geschehen bis zur Ermordung des Königs Duncan durch Macbeth nachgespielt und die Wiederkehr der bösen Tat repetitiv bestärkt. Redundanz als Lehr-Methode?

Nur die Kostüme und der Zeitbezug ändern sich: Beim ersten Loop fühlt man sich ins 17. Jahrhundert versetzt, beim zweiten ins Ende des 19. Jahrhunderts, beim dritten in die Gegenwart. Und weil im entscheidenden Moment jeweils ein steter Blutstropfen vom Bühnenhimmel herabfällt, gewinnt auch die Farbe Rot an Dominanz.

Die Bühne von Ramallah Sara Aubrecht präsentiert sich als goldglänzender Echokammer-Käfig mit wenigen Utensilien: drei Bäume (Wald von Birnam?), ein Flügel, drei Mikrofone, fünf Kronen und zwei Bluteimer. Die verzerrten und in Wiederholungen zerhackten Stimmen der Schauspieler ergeben zusammen mit einem bedrohlich an- und abschwellenden Hintergrund-Sound (eingespielt von Mitgliedern des Opernchores des Staatstheaters) eine beklemmende akustische Dimension.

Im zweiten Teil der pausenlosen 105 Minuten entledigen sich die Akteure ihrer Pelzmäntel und sind reduziert auf die anfangs noch weiße Unterwäsche, bilden aber bald ein blutiges Gruppenbild mit Dame. Das ist der Moment für die Ausrufung des heimlichen Mottos dieser Aufführung: "Horror, Horror, der Wahnsinn hat sein Meisterstück vollbracht" sowie für ein wildes Puzzle aus Shakespeare-Zitaten und weiteren Assoziationen.

Nun darf auch Sascha Tuxhorn als sprachmächtiger, närrischer und stark alkoholisierter Pförtner den Ausflug in den Nihilismus des absurden Theaters wagen und seinen komödiantischen Monolog ("Es war einmal . . .") mit einer Hamlet-artigen Kopf-Kamera und ein bisschen Klavier-Geklimper untermalen. Er deutet das Leben – natürlich auch das Stück – als "Märchen, von einem Narren erzählt, voller Schall und Wut und ohne Bedeutung".

Wer sich auf die besondere Regiesprache des Österreichers Philipp Preuss, der gerne im Schnittfeld von darstellender und bildender Kunst arbeitet, einlässt, wird belohnt: Shakespeares resignativer Blick auf die ewige Wiederkehr von Gewalt, Macht, Intrigen und Skrupellosigkeit erfährt durch diese Dramaturgie der Warteschleife eine stimmige und bildstarke Aktualisierung. Ein lebendes Gemälde über die Verrohtheit der Welt ohne erhobenen Zeigefinger.

Allerdings: Im Original öffnet sich durch den Ausblick auf den jungen Malcolm ein Fenster der Hoffnung. Diese vielleicht doch noch optimistisch stimmende Wendung verweigert die experimentierfreudige Nürnberger Inszenierung, die mit dem ehrlichen Titel "Macbeth — deconstructed & reconstructed" besser angekündigt worden wäre. Längerer Beifall eines teilweise ratlosen Publikums. Danach kommt die Zeit der Reinigungskräfte und der Weißwäscher.

Weitere Vorstellungen: 13., 18., 21. und 30. Dezember. Karten im NN-Ticket-Corner, Mauthalle, Tel. 09 11/2 16 27 77.

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