Die Bachs vor Bach
16.5.2016, 19:38 UhrThüringen ist Bach-Land. Wer heute durch den Freistaat reist, trifft alle paar Kilometer auf eine Bachstätte. Und die hat in den wenigsten Fällen mit dem größten Genie dieser Dynastie zu tun, sondern kann sich beispielsweise auf Johann Sebastians Bruder Johann Christoph, seinen Cousin Johann Bernhard oder Großonkel Johann Michael beziehen.
Denn die Nachkommen jenes Bäckermeisters Veit Bach, der als lutherischer Glaubensflüchtling um 1600 aus dem slowakischen Bratislava in den Thüringer Wald kam, wurden schnell zu Stadtpfeifern und Kantoren, versorgten Städte wie Suhl, Eisenach oder Weimar, aber auch Dörfer wie Blankenhain, Ohrdruf oder Wechmar.
Volker Hagedorn ist gelernter Journalist. Und so lässt er den Leser an seiner Recherche-Reise lebendig teilhaben. Er sucht alte Schul- und Pfarrhäuser auf, portraitiert deren heutige Bewohner und ihre Ansichten, genauso wie er aufgrund der spärlichen Quellenlage, die oft nicht mehr als Matrikeleinträge in Tauf-, Hochzeits- oder Sterberegistern umfasst, ein detailreiches Epochengemälde entwirft.
Denn die Bachs sind ohne ihre Dienstherren nicht denkbar. Darunter großzügige, aber nicht selten auch hochverschuldete Duodezfürsten, ehrpusselige Bürgermeister oder anstrengende Kirchenobere.
Besonders eindringlich stellt Hagedorn die physischen, materiellen und seelischen Verheerungen des 30-jährigen Krieges dar, der nicht nur jede Menge rohe Gewalt mit sich bringt, sondern auch viele Krankheiten und soziales Elend. Durch die Überblendungen ins Heute verliert die Spurensuche oft ihre historische Distanz. Und man erfährt vom Überlebenswillen einer Sippe, deren kreative Gene sich unter harten Lebensbedingungen dennoch sehr reich ausbreiteten.
Ja, die Bachs waren strenggläubige Lutheraner. Aber unter ihnen gab es jede Menge Vertreter, die Luthers Hang zur Eigenwilligkeit genauso auslebten. Natürlich lässt sich Johann Sebastian Bachs außergewöhnliche Kunstfertigkeit nicht allein genealogisch erklären. Aber als Annäherung an eine klein parzellierte Kulturlandschaft, ist „Bachs Welt“ eine Liebeserklärung an Thüringen. Gut geschrieben ist das Buch zudem.
Volker Hagedorn: „Bachs Welt – Familiengeschichte eines Genies“, Rowohlt-Verlag, Reinbek, 416 Seiten, 24,95 Euro.
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