Die Jugend mischt Nürnberg auf
23.9.2018, 18:54 UhrProgrammauswahl
Hier punktete die Staatsphilharmonie gegenüber den Symphonikern: Die drei Erstlingswerke von Prokofjew, Tschaikowsky und Mahler legten viel mehr Gefühlsschichten frei und waren auch optimistischer als das grüblerische Brahmskonzert oder das doch überwiegend depressive Bartók-Opus. Den Symphoniker-Auftakt hätte man sich freudiger gewünscht.
Dialog mit den Solisten
Schon beim Klassik Open Air mit seiner damaligen Geigenpartnerin Bomsori Kim zeigte Wong, dass er intensiv darum bemüht ist, die Balance zwischen Tutti und Solisten spannnungsvoll zu gewährleisten. Auch jetzt an der Seite Midoris sorgte er für großen Freiraum für die Geigerin, die diesen für sehr ausgedehnte Kadenzen nutzte. Nachdem sich Igor Levit und Joana Mallwitz schon seit Schultagen kennen (beide waren Schüler beim Hannoveraner "Pianistenmacher" Karl-Heinz Kämmerling), ist ihr Einvernehmen schon lange eingeübt und zahlte sich in Tschaikowskis b-moll-Konzert werkdienlich aus.
Risiko
Dass sowohl Mallwitz Mahlers erste Sinfonie und ihr Kollege Wong das heikle "Konzert für Orchester" von Béla Bartók auswendig leiteten, zeugt nicht nur von künstlerischem Selbstbewusstsein, sondern von ihrem Willen, alle Aufmerksamkeit und Konzentration auf die Koordination der einzelnen Orchestergruppen zu lenken. Und auch ohne Noten zeigen sich beide ausgesprochen Partitur-sicher.
Gustav Mahler
Beide Dirigenten haben angekündigt, das Werk Mahlers als wichtigen Arbeitsschwerpunkt zu betrachten. Wong, der souveräne Gewinner des letzten Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerbs in Bamberg, hat das im März mit einer berückenden Aufführung der Fünften (die mit dem berühmten "Adagietto") schon eingelöst. Jetzt zog Mallwitz mit einer ebenso drastischen wie emotional packenden Lesart der Ersten nach: Vom Trompeten-Sonnenaufgang des Beginns bis zum massiven Schlusschoral, bei dem die Posaunen aufsprangen, gelang eine kraftvolle Mahler-Deutung.
Körperspannung
Beide sind extrem physische Dirigenten, deren metrische Treffsicherheit bemerkenswert ist. So dynamisch sie mit vollem Körpereinsatz intervenieren, so sehr versagen sie sich aber das Überkonturieren wie es etwa ein Markenzeichen von Teodor Currentzis ist. Beider Dirigiergestus ist ebenso geschmeidig wie die Einsatzgebung präzis. Früher empfahl man Dirigenten, stets genau einen Takt im voraus den Einsatz anzuzeigen. Mallwitz und Wong kündigen Akzentuierungen wenige Momente zuvor an. Beide verstehen sich aber auch auf fragile Lyrismen und die Intimität eines langsamen Satzes. Eines der Geheimnisse: Sie atmen mit.
Intendantengrüße
Symphoniker-Intendant Lucius A. Hemmer flocht seine verbalen Kränze gewohnt am Anfang des Konzerts, was immer ein bisschen für Spannungsabfall sorgt. Wobei er als besonderen Ehrengast den Präsidenten des Bayerischen Musikrats, Thomas Goppel, begrüßte, der sich in seiner Zeit als bayerischer Kunstminister nicht eben für die institutionelle Stärkung des Orchesters eingesetzt hatte . . . Emotional geschickter traf es da sein Staatstheater-Kollege Jens Daniel Herzog, der Joana Mallwitz beim Schlussapplaus einen Blumenstrauß überreichte, sie herzlich umarmte und aussprach, wie glücklich und erwartungsfroh man auf die gemeinsame Zusammenarbeit am Theater blicke.
Zugaben
Geigerin Midori setzte auf den kompakten Brahms noch Johann Sebastian Bach: Die "Gavotte en rondeau" aus der E-Dur-Partita war in einer sehr lichten Wiedergabe zu hören. Igor Levit spielte eine herrlich ironische "Humoreske" aus der Feder des 85-jährigen, in München lebenden Komponisten Rodion Schtschedrin.
Publikumsreaktionen
Beide Dirigenten genießen von Anfang an hohe Sympathie, wobei es schon lange her ist, dass das doch oft etwas zurückhaltende fränkische Publikum unmittelbar nach einer Aufführung aufsprang. Joana Mallwiz durfte sich nicht nur über viele "Bravos", sondern auch über anhaltende Ovationen freuen, die es in dieser Intensität wohl zuletzt bei Philippe Auguin und beim Abschied von Alexander Shelley gab.
Überflüssig
Dass Kahchun Wong unmittelbar nach der Wiedergabe mit den Solisten ständig Selfies macht, ist — mit Verlaub — postpubertär und eines Chefdirigenten eigentlich nicht würdig. Es gibt auch ein Leben ohne das Smartphone . . .
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