Die Tops und Flops des Nürnberger Kulturjahres
10 Bilder 28.12.2017, 06:00 UhrNatalie de Ligt: Die Ausstellung "Anti-Pop" fand ich hervorragend
Natalie de Ligt, freie Kuratorin und Publizistin: Die Ausstellung "Anti-Pop" im Neuen Museum - kuratiert von Thomas Heyden - fand ich hervorragend. Sie stellte den US-Künstler Boris Lurie (1924, Leningrad–2008, NYC) vor, der sich in seinem alle Dünkel missachtenden und zum Teil verstörenden Werk mit den Erfahrungen der Schoah auseinandersetzte. Im Stück "Jonestown" vom Theater "Zwangsvorstellung", in dessen Zentrum die Geschichte des Sektenführers Jim Jones steht, wird das Publikum nicht nur Zeuge eines Systems von Unterdrückung und Psychoterror, es wird selbst zum unfreiwilligen Sektenschaf. Buch und Regie von Claudia Schulz – großartig und schonungslos. Im Kunstverein Kohlenhof zeigte Andrea Sohler in der von ihr präzise inszenierten Schau "nüber" ihre wunderbaren Fotografien von Alltagsbagatellen, die unverhofft ein tragikomisches oder auch erotisches Potential entfalten. © Roland Fengler
Ingeborg Seltmann: Das Jahr des Luther-Overkills
Ingeborg Seltmann, Autorin und Museumspädagogin am Germanischen Nationalmuseum: 2017 war das Jahr des Luther-Overkills, inklusive Quietschenten, Playmobilfiguren, Ablass-Musicals und einer Flut von Ausstellungen. Nürnberg hat im Germanischen Nationalmuseum einen wirklich substanziellen Beitrag geleistet. Die Ausstellung "Luther, Kolumbus und die Folgen" beschrieb den epochalen Wandel ab 1500 und stellte zugleich hochaktuelle Fragen. Chapeau – ein großer Wurf! Mein Neujahrswunsch: Das Dürerhaus, einziges spätmittelalterliches Künstlerhaus nördlich der Alpen, das wie durch ein Wunder den Zweiten Weltkrieg fast unbeschädigt überstanden hat, könnte weit mehr sein als eine Attraktion für Touristen. Warum nicht im Foyer heiraten, im Kopistensaal Malkurse halten und in den häufig leer stehenden Ausstellungsräumen im dritten Obergeschoss Empfänge und Diskussionsrunden abhalten? © Michael Matejka
Bird Berlin: Streitthema Kulturhaupttstadt
Bird Berlin, Gesamtkunstwerk: Mein Jahr war gefüllt mit ungemein gewünschten Ungewöhnlichkeiten. Völlig unverhofft wurde ich auf die Konferenz der Konkurrenten nach Dresden eingeladen. Als einer der Vertreter der Nürnberger Subkultur durfte ich mit den Bewerberstädten drei Tage diskutieren, wie sinnvoll der richtige Weg zur Kulturhauptstadt Europas führen kann. Und es kam mir vor, als sei er voller Butterklumpen, welche die Augen befetten, um eine Beteiligung der Bürger der Stadt Nürnberg an der Gestaltung dieses prozessualen Experimentes nur schwer möglich zu machen. Natürlich gibt es Workshops, doch ein Gelingen darf doch etwas breiter als meine nicht zu zarte Knusperhüfte angelegt sein. Aber es gab auch Tolles: Viele Weggefährten wie das Erlanger E-Werk oder Radio Z feierten Jubiläen. Da bleibt einem nichts übrig außer viel Glück zu wünschen! © Cris Civitillo
Rolf Gröschel: Trauriger Höhepunkt "Die Trojaner"
Rolf Gröschel, Leiter des Palestrina Chores: Im Rückblick auf 2017 sind mir einige Konzerte im Rahmen des Vereins zur Pflege der Kirchenmusik in besonderer Erinnerung. Im Mai gastierte der Polnische Rundfunkchor Krakau mit Werken zeitgenössischer polnischer Komponisten in der Kirche St. Karl-Borromäus. Wenig später spielte der Organist Rainer Goede in der Kirche St. Elisabeth zum Lutherjahr Kompositionen über den Choral "Ein feste Burg ist unser Gott". In besonderer Erinnerung ist mir das Eröffnungskonzert der ION in St. Lorenz in der Gegenüberstellung der "Missa Pange linqua" von de Pres und der Missa brevis von W. Rihm. Als ständiger Besucher des Staatstheaters ist mir die Wiederaufnahme von "La Bohème" als gelungene Verbindung von Musik und Regie in besonderer Erinnerung. Bei anderen Aufführungen klafften Musik und Regie teilweise weit auseinander. Trauriger Höhepunkt die Oper "Die Trojaner". © Hans von Draminski
Pirko Schröder: Verleihung des Internationalen Menschenrechtspreises als Highlight
Pirko Schröder, Künstlerin und Mitarbeiterin im Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrum der Museen in Nürnberg: Für mich war die Verleihung des Internationalen Menschenrechtspreises an den syrischen Fotografen "Caesar" ein Highlight des Jahres – ein schockierendes, trauriges, aber dennoch ein beeindruckendes. Die vom Komm-Bildungsbereich in der KreisGalerie gestaltete Ausstellung war geschickt und sensibel zwischen Information und Aufklärung eingerichtet. Weitere Tops waren Goyo Monteros Tanzstück "Dürer‘s Dog" und die Ausstellung "On With The Show – 50 Jahre Kunsthalle". Ich würde mich weiterhin freuen, wenn gerade im Zuge der Kulturhauptstadtbewerbung neben all den Großevents im Kulturbereich auch die kleinen Projekte, die ein wenig gegen den Strich bürsten und abseits des Massengeschmacks sind – vielleicht schrill, vielleicht still, vielleicht ein wenig abseitig – auch ihren Bestand im Kulturleben haben, ohne nach den Besucherzahlen schielen zu müssen. © Michael Matejka
Benjamin Metzner: Feuertanz-Festival als Woodstock des Mittelalters
Benjamin Metzner, Sänger der Band d'Artagnan: Meine persönlichen Highlights im Nürnberger Umland sind die jährlichen Burgfestivals des Concertbüros Franken, besonders das Feuertanz-Festival auf Burg Abenberg. 2006 noch als Besucher vor der Bühne gestanden, später dann fast jährlich auf der Bühne – für mich als Folk-Musiker ist das eine Art Familientreffen. Was mir nach wie vor sauer aufstößt, ist der unsägliche Umgang mit dem Quelle-Gelände! Ich habe mir dort bis vor zwei Jahren mit anderen Musikern einen Proberaum geteilt – nebenan waren Fotografen, Künstler, Grafiker, Textildrucker und vieles mehr. Man mag sich kaum vorstellen, was für ein gigantisches kulturelles Potential hier darauf wartete, sich zu entfalten! Dann war es vorbei. Das erste dArtagnan-Album wurde nach Räumung des Quelle-Geländes zur Freude der Nachbarn in der WG in Gostenhof geprobt. Man stelle sich vor, in 100 Jahren wird ein neuer Flughafen in Nürnberg direkt neben den "Albrecht-Dürer-Airport" gebaut. Wie der wohl heißen wird? Ganz sicher nicht "Sonae Sierra – Nürnberg-braucht-noch-mehr-Einkaufszentren-Airport". © Holger Richter
Andrea Maria Erl: Große Chance als Kulturhauptstadt
Andrea Maria Erl, künstlerische Leiterin am Theater Mummpitz: Sehr erfreulich und wichtig finde ich die Entscheidung der Stadt Nürnberg, sich für das Jahr 2025 als Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Das birgt die große Chance, neu auf die bestehende Kulturlandschaft zu schauen. Was muss gestärkt werden, was weiterentwickelt und was muss neu geschaffen werden. Kurz: Visionen für die Kultur in Nürnberg zu entwickeln. Ein weiterer Höhepunkt 2017 war für mich das Festival "Lichtblicke". Ein extrem spannendes und anregendes Programm mit den unterschiedlichsten Formen des Theaters für Jugendliche und Erwachsene. Als Flop steht für mich nach wie vor das ungenutzte Quelle-Areal im Raum. Von den ehemaligen Zwischennutzern gingen und gehen nach wie vor starke künstlerische Impulse aus, die die Stadt nicht nutzt. Das Areal ist prädestiniert dafür, als Kreativort Nürnbergs genutzt zu werden. © Marcel Staudt
Walter Bauer: Jubiläumskonzerte der Trällerpfeifen als Höhepunkt
Walter Bauer, Künstler: Die Jubiläumskonzerte der Trällerpfeifen (20 Jahre) im Südpunkt und der Pegnitzschäfer (35 Jahre) mit dem Sound von Harley-Davidson-Motorrädern vor der Lorenzkirche waren etwas ganz Besonderes. Die Rockkärwa in Zabo und das Reichswaldfest sind ein Highlight jedes Jahr. Und dass Hermann Glaser mit 89 Jahren als Herausgeber die Reihe "Buchfranken" startet, ist bewundernswert. Flops: Dass es das Stadtmagazin Plärrer und die ConsumART nicht mehr gibt, ist schade. Dass die Schaufenster im ehemaligen Kaufhof-Horten nicht mehr mit Kunst bespielt werden und vergammeln, ist eine Schande. Und dass Ottmar Hörl weiterhin Sondermüll produziert, ist nur noch ärgerlich. © Ralf Rödel
Rebecca Trescher: Liebt Nürnbergs kleine Szeneläden
Rebecca Trescher, Jazzmusikerin: Flops fallen mir spontan überhaupt keine ein. Ich finde, dass Nürnberg aktuell kulturell großartig aufgestellt ist. Mich überrascht die Stadt immer wieder aufs Neue. Es gibt hier so viele "Machertypen", Visionäre, die selbst Veranstaltungen oder Reihen ins Leben rufen. Inspirierend ist auch der Besuch von Ateliers der Bildenden Künstler, die ich unter anderem bei den offenen Ateliertagen in Goho entdecken konnte, oder die Hinterhofflohmärkte, wo man so kleine tolle "Kruschsachen" findet. Nicht zu vergessen die Veranstaltungen im Café La Ola, im Jazzstudio oder in der Tante Betty Bar. In die "großen Häuser" Nürnbergs gehe ich auch sehr gerne, etwa ins Schauspielhaus oder die Tafelhalle. Das diesjährige Bardentreffen war mir zu viel, zu viele Menschen und zu viel Dauerbeschallung. Da liebe ich doch die kleinen Szeneläden, wo man genüsslich sein Bierchen trinken und sich auf eine Sache fokussieren kann. © Ludwig Olah
Harald Riedel: Habe viele tolle Konzerte erlebt
Harald Riedel, Stadtkämmerer: In der Rückschau 2017 war mal wieder viel zu wenig Zeit, das tolle und breite Kulturangebot Nürnbergs wahrzunehmen. Zuletzt ziemlich gut: das Konzert der Nürnberger Rock- und Blueslegende Rudi Madsius zum 50-jährigen Bühnenjubiläum im St. Johanniser Orpheum. Er hat mich und viele andere über diese Jahrzehnte begleitet, dementsprechend hatte der Abend auch den Charakter eines Klassentreffens. 2017 war auch der Beginn des Abschiednehmens vom Zentralcafé im Künstlerhaus und seiner echten Clubatmosphäre. Diese wurde im November-Konzert deutlich am Ausruf des Hardpan-Gitarristen Chris Borroughs: "This is the kind of club I’m born to play in!" Ein weiteres Highlight für mich war die "Billy Joel Story" von Steffen Radlmaier, die ich im beeindruckenden "Civil Rights Center" in unserer Partnerstadt Atlanta erleben durfte. © Günter Distler