"Die Troerinnen": Frauen als Opfer, aber mit Haltung
8.10.2018, 16:31 UhrEine steile, rutschige Rampe, am Ende eine Tür, die sich immer wieder urplötzlich öffnet und Menschen ausspuckt, dazu projiziertes Insekten-Gewimmel, Fetzen von dunklen Schatten: Die Bühne von Marie Roth ist mit den Videos von Sami Bill nüchtern und gewalttätig zugleich. Sie bringt nach dem Fall von Troja die Besiegten, aber auch die Sieger immer wieder ins Straucheln, die hier die Beute-Verteilung ein letztes Mal besprechen, bevor es nach Griechenland: Brutale Eroberer, die Frauen der gefallenen Verteidiger als Sklavinnen im Schlepptau.
Schauspiel-Chef Jan Philipp Gloger hat seine Inszenierung vom Badischen Staatstheater Karlsruhe mitgebracht und die Schauspieler für zwei tragende Rollen gleich mit: Annette Büschelberger ist die alles dominierende und in ihrer Gebrochenheit faszinierende Hekabe, Gattin des ermordeten Königs, Mutter der ermordeten Prinzen Paris und Hektor und der unglückseligen Seherin Kassandra. Sascha Tuxhorn spielt den griechischen Boten, der den adligen Frauen die bitteren Nachrichten überbringen muss, bei welchem seiner Herren sie in Zukunft zu Haushalts- und Sex-Diensten degradiert werden.
Grande Dame von Troja
Wie Hekabe streng diszipliniert zuerst die Haltung wahrt, mit hohen Hacken auf dem Abhang balanciert als Grande Dame von Troja, und wie sie bald von einer Schreckensnachricht nach der anderen buchstäblich in die Knie gezwungen wird, das ist sehenswert. Ebenso grandios: Tuxhorns zwiegespaltener Bote, der doch ein Gewissen hat und bitter leidet, als er auch noch den kleinen Sohn von Andromache zur Exekution bringen muss und später im Leichensack wieder hereinbringt.
Überhaupt ist das hier großes Schauspielertheater, das sich auf ausgefeilte Streitgespräche konzentriert, die immer wieder zweifeln lassen an der Schuldfrage: War es Menelaos, der wegen seiner entführten Frau Helena den ganzen trojanischen Krieg anzettelte? Oder doch Paris, der sich in Helena, die "eitle Hure", verguckt hatte? Oder gar Hekabe, die ihn geboren hat?
Poseidon im Smoking
Gloger hat die griechische Tragödie mit Autor und Übersetzer Konstantin Küspert abgespeckt auf die zentralen Figuren und schickt diese in dauernden Wettstreit um die Interpretation der Niederlage. An der ist nicht zu rütteln, aber wer ist hier Opfer, wer Täter? Irgendwie alle.
Das macht schon der Meeresgott Poseidon (schneidig: Michael Hochstrasser) in seinem Vorab-Monolog klar, wenn er im Smoking mit offener Fliege daherschlurft und über die Selbst-Zerstörungswut der Menschheit herzieht: "Sie fürchten zu kurz zu kommen und darum kämpfen sie", stellt er fest. Und: "Menschen gehören nicht aufs Wasser." Wenn dann die Griechen die Frauen unter sich aufteilen wie ISIS und Konsorten, sind die Parallelen von heute zum altgriechischen Gemetzel längst offensichtlich.
Ein bisschen anbiedernd an die Schultheater-Fraktion ist es schon, wenn Autor Küspert die zwischen Irrwitz und Verzweiflung schwankende Andromache (Julia Bartolome) zu Hekabe sagen lässt: "Mutti, das ist doch Quatsch." Man will halt verstanden werden. Das gelingt aber insbesondere durch die Darsteller, die meist direkt ins Publikum sprechen: Thomas Nunner als Menelaos schafft in seinem kurzen Auftritt den Wechsel von Triumphator zum Zweifler und zurück grandios, Lisa Mies als Helena lässt erst noch ihren Geist, dann aber ihre üppigen Kurven sprechen, Pauline Kästner überzeichnet die Kassandra hin zum Irrsinn.
Gloger entsorgt all die Leidenden am Ende der Rampe im Graben, kurzer Prozess. Anrührende Momente werden schnell abgebrochen und umgedeutet, das Schau-Spiel ist in seiner Doppelbödigkeit sichtbar. Das ist für die Zuschauer immer wieder ernüchternd, erdet aber das Geschehen im ewigen Krieg der Weltgeschichte. Und schließlich ist das noch das Geschlechter-Thema: Die "Troerinnen" sind in #Metoo-Zeiten natürlich mehr denn je eine Vorführung von geballter Frauen-Kraft. Damit die Männer ihr dämliches Heldentum ausleben können, müssen sie jetzt büßen, aber sie tun es überwiegend mit Grandezza.
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