Drama ums Panorama

16.7.2020, 19:10 Uhr
Drama ums Panorama

© Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen

Zwischen Ganove und Genie passt manchmal kein Blatt Papier. Anders ausgedrückt: Eine der berückendsten Stadtansichten kam aus dem Knast. Christian Ludwig Kaulitz (1693– 1744) hieß der Filou, ein gebürtiger Berliner, der aus der Not heraus halb Osteuropa durchwanderte und seine Stationen dazu nutzte, Dokumente zu fälschen, Empfehlungsschreiben zu türken und Geldspenden für angeblich abgebrannte Klöster zu erschleichen, die in Wirklichkeit gar nicht abgebrannt waren. Erst in Gräfenberg war Schluss! Kaulitz flog auf und wurde in Nürnberg verknackt. Nun begann eine zweite Karriere. Tatsächlich begriffen die städtischen Vorderen rasch, welches Früchtchen sie da ins "Männereisen" eingebuchtet hatten. Kaulitz wurde ihr "geheimster Schreiber" und Kopist für amtliche Stellen. Und noch mehr. Auch ein Stadtpanorama samt dem Heilig-Geist-Spital entstand im Schuldturm am Gefängnisfenster. Einem Rechnungsbeleg zufolge war der 1. Mai 1744 Kaulitz’ Todestag. Falls der Zettel echt war...

Kaulitz ist eine der schillerndsten Entdeckungen in dieser facettenreichen Ausstellung. Was Kurator Ludwig Sichelstiel gemeinsam mit dem Förderverein Kulturhistorisches Museum ausgegraben und platziert hat, verdreht Besuchern durchaus mal den Kopf. Die Rede ist von den Rotunden, gemalten und später fotografierten Rundbildern also, die am Plärrer und am Hauptmarkt 360-Grad-Panoramen ermöglichten.

Mit ersten Abbildungen Nürnbergs aus dem 15. Jahrhundert flankierend zu Michael Wolgemuts Nummer-eins-Hit unter den Holzschnitten, der "Schedelschen Weltchronik", geht’s los. Dann dürfen Besucher durch abwechslungsreiche Ausstellungsarchitektur schreiten, an Kunst, Lebkuchendosen, Münzen oder Falt-Dioramen mit der Noris-Skyline vorbei.

Bizarre Nazi-Blüten

Der Weg führt durch Barock und Biedermeier auf die Jahre vor und nach der Bombardierung zu. Die Nazi-Zeit mit bizarren Blüten zwischendrin. So ist ein Buch zu sehen, das Adolf Hitler von der Stadt zum 50. Geburtstag bekam. Kurator Sichelstiel zufolge steht mancher sinnfreie Spruch des selbsternannten "Führers" darin. Beispiel? "Nürnberg ist ein merkwürdiger Schrank."

Stellvertretend für die Gegenwart lässt der aus Argentinien stammende Pablo de la Riestra seine Wahlheimat und ihr Dächermeer erblicken. Er tritt damit würdig ein Erbe des Architekturforschers und Zeichners Friedrich Neubauer (1912–2004) an, der die Topografie der Nachkriegszeit in über 300 Werken festhielt – eine Auswahl wird jetzt erstmals präsentiert.

Wer glaubt, Schummel-Bilder seien ein Fluch der Moderne, kann hier was lernen: So nutzte schon Johann Christoph Zick (1741–1814) sein Talent als Kupferstecher für Dramen bei den Panoramen. Ein und dieselbe Stadtansicht wird sechs Mal variiert: Fake-News aus dem 18. Jahrhundert.

INFO: Stadtmuseum im Fembohaus, Nürnberg, Burgstr. 15; bis 18. Okt., Di.–Fr. 10–17 Uhr, Sa./So. bis 18 Uhr. Katalog 19 Euro.

Keine Kommentare