Es geht auch fast ohne Wagner

25.7.2020, 12:30 Uhr
Es geht auch fast ohne Wagner

© Foto: Jens Voskamp

Corona-bedingt steht über dem Grünen Hügel jedoch zur Zeit eine andauernde Fermate: Generalpause für alle Künstlerinnen und Künstler. Der Festspielbezirk ist fast verwaist. Keine Bläser mit Wagner-Motiven auf dem Balkon. Dafür wird fieberhaft an der neuen Bedürfnisanstalt für die Hügel-Gäste gewerkelt.

Anstelle der Wagnerei zelebriert man heute in der oberfränkischen Bezirkshauptstadt den "Tag der fränkischen Bratwurst" mit Volker Heißmann und Martin Rassau als Schirmherren. Für das regionale Fleischerzeugnis wirbt in der Fußgängerzone ein Stand mit dem launigen wie selbstbewussten Motto "unsarawörschdlaschmecknfeiimma".

Es geht auch fast ohne Wagner

© Foto: Jens Voskamp

Die touristischen W‘s

Für Manuel Becher, den obersten Tourismus-Manager von Bayreuth, geht es auch um die Wurst. "Wir machen Bayreuths Besonderheiten gerne an unseren W‘s fest", erläutert der Geschäftsführer der kommunalen Marketing und Tourismus-GmbH. "Wagner, Wilhelmine und mit etwas Großzügigkeit Wurst und Wein." Wobei für Touristiker die beiden ersten W‘s durchaus schwer veräußerbare Kost sind. Für Wurst und Wein (in Bayreuth denn doch wohl eher Bier. . .) hingegen lassen sich die meisten Gäste eher begeistern als für mehrstündige Musikdramen oder eine egomanische preußische Prinzessin, die sich ein irdisches Arkadien anlegte.

Es geht auch fast ohne Wagner

© Foto: Jens Voskamp

Bedeutet der Ausfall der Wagner-Festspiele den Super-Gau? "Aus meiner Sicht bietet es für Bayreuth sogar eine Chance. Der Scheinwerfer trifft sonst immer zu stark auf den Grünen Hügel. Jetzt können alle unsere Aktivitäten drum herum auch einmal aus dem Schatten treten", meint Manuel Becher. "Ich glaube, keine Stadt kompensiert Corona so intensiv mit Kultur wie wir."

Tatsächlich hat man "Summertime" aus der Taufe gehoben. Unter diesem Motto wird alles versammelt, was in der Stadt an Ausstellungen, Klassik-, Jazz- oder Popkonzerten, Kleinkunst und Theater in diesem Sommer ermöglicht wird. Und das ist in der Tat ein erstaunlich großes Angebot. Vor der Seebühne in den Wilhelmine-Auen dürfen sich immerhin vierhundert Zuschauer versammeln. Natürlich steuert auch das "Festival junger Künstler" Kreatives bei.

Es geht auch fast ohne Wagner

© Foto: Jens Voskamp

Auch die Bahn springt auf diesen Zug auf. Am Hauptbahnhof begrüßt augenzwinkernd ein Plakat die Ankommenden: "Auch wenn gerade nichts gespielt wird. Ihr Besuch ist uns immer ein Fest."

Und dann gibt es ja noch dieses Kuriosum in dieser Stadt mit zwei Opernhäusern von Weltgeltung: Während die Mutter aller Musikfestivals eine Zwangspause einlegt, soll die Premiere von "Bayreuth Barock" rund um das Welkulturerbe Markgräfliches Opernhaus im September planmäßig an den Start gehen und internationales Publikum anlocken.

Gäste bleiben immer kürzer

Die Konzentration auf die fünf Wagner-Wochen im Jahr hält Touristiker Becher eh für obsolet. "Es gibt kaum noch Hardcore-Wagnerianer, die wochenlang bleiben. Mir wären deshalb jene Gäste lieb, die Bayreuth als Städte- und Erholungs-Destination an sich entdecken."

"Der heutige Festspielgast schaut sich an einem Tag Lohengrin an, fährt von hier aus zum Deep Purple-Konzert in Berlin und hockt am nächsten Abend im Münchner Hirschgarten", hat auch Engin Gülyaprak festgestellt. Der Inhaber von "Engins Ponte" am zentral gelegenen "Canale grande" im Herzen der Stadt ist nicht nur seit 40 Jahren im Geschäft, sondern auch Kreisvorsitzender des Bayreuther Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga).

Seiner Beobachtung nach haben die Festspiele für seine Branche ohnehin an Bedeutung verloren. "Die Gäste fahren heute abends bis nach Frankfurt und München nach Hause." Wichtiger seien die Tagesgäste, die sich die Stadt anschauen. Im vergangenen Jahr konnte Bayreuth mit rund 440.000 Übernachtungen tatsächlich einen neuen Rekord aufstellen. Unter den ausländischen Gästen machten die Österreicher das Rennen. Knapp dahinter Schweizer und US-Amerikaner. Briten, Niederländer, Franzosen, Polen und Italiener rangieren auf den weiteren Plätzen, machen aber gerade Mal zehn Prozent aller Schlafgäste aus.

Umso härter haut nun die Corona-Krise ins Kontor. Engin Gülyaprak befürchtet, dass am Ende des Jahres dreißig Prozent weniger Betriebe in seiner Mitgliederliste stehen werden. Vor allem Hotels im Umland von Bayreuth, also in der Fränkischen Schweiz und im Fichtelgebirge, seien von den massenhaft ausbleibenden Kultur-Gästen betroffen.

Natürlich gab es auch Anzeichen von Überhitzungen: Hotels, Gasthöfe und Pensionen verdopppelten in der Regel ihre Zimmerpreise zu Festspiel-Zeiten. Teilweise fiel der Zuschlag noch höher aus. Jetzt sind in Übernachtungs- und Gastrobetrieben mit mehr Personalaufwand weniger Kunden zu betreuen. Da verfügt längst nicht jede Firma über ein finanzielles Polster, das so etwas aushält.

Was würde also der Gastronomie am meisten helfen? Bistro-Betreiber Gülyaprak hat da eine eindeutige Meinung: "Mehr als Ausfallzahlungen würde uns ein Teilerlass unserer immensen Mietkosten entlasten. Wenn die Vermieter lediglich auf eine Monatsmiete verzichteten, würde sie das nur um 8,66 Prozent erleichtern. Vielen von uns könnte ein solcher Schritt aber das Überleben sichern", ist der 56-jährige überzeugt.

Szenenwechsel von der City auf den Festspielhügel. Es ist nicht so, als ob hier alles tot wäre. Für die neue Tetralogie des "Ring des Nibelungen" in der Sicht des österreichischen Regisseurs Valentin Schwarz, die ab Montag zur Diskussion gestellt werden sollte, sind Bau- proben angesetzt. Der 16-stündigen Götter-Saga tun solche Nachjustierungen nur gut. Aber zugleich ist ungewiss, ob das Mammutwerk im kommenden Jahr überhaupt gezeigt werden kann.

Defizit von 15 Millionen Euro

Allein die Streichung der diesjährigen Festspiele bedeutet einen Ausfall von 15 Millionen Euro. Zu immerhin 65 Prozent finanziert sich das Wagner-Spektakel aus den Kartenverkäufen. Aber wie viel Planungssicherheit gibt es für 2021, wo die großen Choropern "Meistersinger", "Fliegender Holländer", "Lohengrin" und "Tannhäuser" geplant sind?

"Wir gehen damit natürlich ein gewisses Risiko ein, und unsere Gesellschafter gehen hoffentlich dieses Risiko mit", sagt Heinz-Dieter Sense, der kommissarische Geschäftsführer der Festspiele. Die sind zudem dadurch geschwächt, dass Intendantin Katharina Wagner bis in den Herbst hinein im Krankenstand sein wird. Aber Sense zeigt sich zuversichtlich: "Kunst braucht immer auch einen gewissen Optimismus."

Allerdings gelten vor allem Chorgesänge in Zeiten von Corona als besonderes Risiko. Wissenschaftler der Universitätskliniken München und Erlangen haben in einer Versuchsreihe mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks herausgefunden, dass Aerosole, also Gemische aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen, beim Singen bis zu eineinhalb Meter nach vorne ausgestoßen werden.

Deshalb sollte man nicht vergessen: Der Festspielchor ist der größte Opernchor der Welt. Wenn man so will: Die Hotspot-Gefahr wäre auf dem Grünen Hügel vergleichbar so hoch wie bei Tönnies hinsichtlich der Schlachtindustrie.

Jede Krise offenbart allerdings auch ihren guten Seiten. Gastro-Fachmann Engin Gülyaprak hat mit Staunen festgestellt: "Nach sechs bis sieben Jahren haben wir das erste Mal wieder Bewerbungen. Viele junge Leute stellen fest, dass der Nine-to-Five-Job, bei dem man am Ende des Monats 8000 Euro mit nach Hause trägt und jedes Wochenende frei verfügbar ist, keineswegs die Regel ist." Auch Bayreuth-Gäste dürfte es freuen, wenn verdoppelte Zimmer-Preise im Juli nicht mehr zum Bayreuther Standard gehören sollten. . .

Infowww.bayreuth-tourismus.de/summertime/

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