Fürth: Dieser Mann röntgt Sportwagen und Pflanzen
9.10.2020, 18:17 UhrAm Anfang war der Zahnarzt. Nick Veasey schätzt, so um die 14 Jahre alt gewesen zu sein. Und noch ohne Röntgenblick. Im Urlaub fiel ihm damals ein Zeitungsartikel in die Hände. Ein außerordentlicher Zahnmediziner wurde porträtiert. Ungewöhnlich deshalb, weil der Munddoktor seine Mittagspause stets dazu nutzte, um in den Garten zu gehen. Dort pflückte er Pflanzen. Seine Obsession: Sie später in seiner Praxis im Röntgengerät genauer unter die Lupe zu nehmen. Blüten betrachten statt Beißerchen. Was für eine Poesie.
Dank diesem Facharzt fürs Mundwerk jedenfalls dürfen wir uns jetzt über Nick Veaseys sehenswerte Ausstellung „Inner Visions“ freuen, die in der städtischen Galerie Fürth vom geheimen Innenleben der Pflanzen, Menschen und sogar von Flitzern wie Maseratis und Lamborghinis erzählt. Ein Fotograf mit verschärften Mitteln ist zu erleben. Ein Mann mit Interesse an inneren Werten. Und nicht zuletzt ein Brite mit gutem Humor.
Rasende Teekanne
Denn in einer Arbeit, in der er verschiedene Skiabfahrtsläufer durchleuchtet, hat er sich neben anderen Abhangjägern zum Beispiel auch eine die Piste hinunterrauschende Teekanne vor die Linse geholt. Wie englisch ist das denn?
Über die Deutschen sagt Veasey, dass ihn eine Sache schon erstaune: Wenn er mit seiner Röntgenkunst daherkomme, fragen alle immer nur nach der Technik. Wobei ihm doch vielmehr an der Schönheit gelegen sei . . .
Tatsächlich gibt es kaum ein Ding von reizvoller Beschaffenheit, dem Veasey noch nicht unter den Rock der Oberfläche geschaut hat. Ein Voyeur? Nein, das klingt zu schummrig. Tatsächlich ist er ein röntgenstrahlender Ästhet.
Tödlicher Raum
Ein tödlicher Raum
Strahlen – das ist ein sichtbar gemachter Verbindungsstrang nach Fürth. Denn nachdem man im Fraunhofer Entwicklungszentrum Röntgentechnik (ERZT) auf den durchleuchtenden Künstler von der Insel aufmerksam geworden war, lud man ihn vor vier Jahren ein, doch mal vorbeizukommen. Und klar, dass der Lockstoff der Techniker für einen wie Veasey unwiderstehlich wirkte, der selbst drei Röntgengeräte besitzt: Ihn reizte das zwölf Meter hohe Labor in Franken.
Für Menschen endet der Aufenthalt in dem Raum tödlich, sobald neun Millionen Volt zum Beispiel durch unzerlegbare Oldtimer-Autos oder andere Industrieprodukte gejagt werden. Zum Vergleich: Beim Arzt schießen sie allenfalls mit 5000 Volt auf uns. Gleichzeitig ist der Raum im Entwicklungszentrum völlig harmlos, ziehen sie den Stecker. Die Entdeckung der Röntgenstrahlen vor 125 Jahren war tatsächlich ansteckend. In der Kunst Galerie Fürth freut sich die neue Leiterin Natalie de Ligt über die Schau zu diesem Jubiläum. Sie wurde noch von ihrem Vorgänger Hans-Peter Miksch angezettelt. Ein Pfad zur inneren Schönheit.
Es ist eine Ausstellung in existenzialistischem Schwarz-Weiß geworden. Die Bilder sind auf meterhohe Polyestervorhänge gedruckt. Vieles macht die Vergänglichkeit augenfällig. Als Künstler nutzt Veasey menschliche Skelette, die er aus einem Schulungskrankenhaus für angehende Mediziner bezieht, um Künstlerporträts einzurüsten.
Namentlich sind das etwa Bob Marley, dessen Botschaft für Veasey die Gleichheit aller Menschen ist. Dazu Elvis Presley, ein frühes Idol des 1962 geborenen Künstlers. Und dann rundet noch ein meterhohes Bild eines haarigen Rockgitarristen das Ensemble der Drei von der Röntgenstelle ab: Guns’n’Roses-Gitarrist Slash. Der läuft wie eine Cartoonfigur rum, findet Veasey – und lacht.
Der Gentleman lässt tief blicken
Ganove des Durchblicks
Seine Fotografien setzt der Brite aus vielen Einzelbildern zusammen. Auch Kleidung oder Accessoires werden entsprechend der gewünschten und benötigten Körperhaltung drapiert und mit dem Röntgenapparat abgelichtet. Dieser Art führt er, der früher in der Werbebranche tätig war, zwischen die Sphären. Als durchlässiger Vorhang gehört in der Galerie das Abbild des Federschmucks eines Indianers dazu – er geleitet zu Röntgenbildern von Flora und Fauna. Wenn Veasey im Obergeschoss dann Motive im Stil von Gangstern beim Pokern oder Ballern arrangiert, passt das auch nicht schlecht ins Bild: Für einen Ganoven des Durchblicks wie ihn. Sterblich sind wir alle. Was die Botschaft eines Skeletts sein dürfte, das cool rauchend mit dem Cocktail im Lounge-Sessel hockt. Äußerlich Sinatra. Doch Veasey lässt tiefer blicken.
Info:
Bis 20. Dezember, Kunst Galerie Fürth, Königsplatz 1,Mi. – Sa. 13–18 Uhr,
So. 11–17 Uhr. Es dürfen 16 Personen
gleichzeitig in der Galerie sein.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen