"Game of Thrones": Experte erklärt Hype um die Serie
11.12.2019, 05:46 Uhr"Game of Thrones" ist eine der erfolgreichsten, wenn nicht die erfolgreichste Serie der Welt. Jetzt ist die achte und letzte Staffel der US-amerikanischen HBO-Produktion auf DVD und BluRay erschienen. Der Germanist Markus May hat sich wissenschaftlich mit den literarischen Vorlagen von George R. R. Martin und der Fantasy-Serie beschäftigt.
Herr May, war es sehr schlimm für Sie, als im Mai dieses Jahres die letzte Folge von "Game of Thrones" lief?
Nein, auf gar keinen Fall. Ich bin ja Literaturwissenschaftler und daher vor allem Leser, warte also auf den sechsten und den siebten Band von George R. R. Martins "Das Lied von Eis und Feuer". Erst in der letzten Zeit war ich verstärkt im kultur- und medienwissenschaftlichen Bereich tätig. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Story im Buch entwickelt, denn ich bin ziemlich sicher, dass das ein bisschen anders sein wird als in der Serie.
Sie sagten es, Sie sind Germanist. Da liegt es nicht so nahe, sich mit der Serie oder auch den Büchern zu beschäftigen, oder?
Auf die Serie kam ich im Jahr 2012 durch meinen jetzigen Schwiegersohn. Damals habe ich dann auch die fünf Bücher in einem Rutsch gelesen. Ich komme eigentlich aus der klassischen deutschen Phantastik-Forschung – also zum Beispiel E.T.A. Hoffmann und Achim von Arnim. In "Das Lied von Eis und Feuer" habe ich Qualitäten gesehen, die man sonst nicht unbedingt in der zeitgenössischen Fantasy-Literatur findet – wobei das Genre oft unterschätzt wird. Was George R. R. Martin auszeichnet, sind der historisch sehr ausdifferenzierte Weltentwurf mit seiner mythologischen Tiefenstruktur und der psychologische Realismus, der auch auf den Literaturnobelpreisträger William Faulkner verweist. Faulkner war ja ebenfalls berühmt für dysfunktionale Familiengeschichten.
Viele Fans waren enttäuscht vom Finale der Serie. Sie auch?
Das ist wirklich eine schwierige Frage, vor allem, wenn man keine Details verraten darf. Mit manchem war ich zufrieden, mit anderen Dingen dagegen nicht so sehr. Davon, wie sich manche Figuren entwickelt haben, konnte man durchaus enttäuscht sein. Schließlich wurden über einen sehr langen Zeitraum bestimmte Erwartungshaltungen aufgebaut – und manches wurde dann doch etwas sehr schnell abgewickelt. Denn eigentlich war es ja eine der Stärken der Serie, dass sie komplexe Charaktere aufgebaut hat, deren Entscheidungen psychologisch entwickelt und nachvollziehbar wurden.
Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Tyrion, der Zwerg, ist die Lieblingsfigur von Autor George R. R. Martin. Er ist so etwas wie der moralische Kompass der Geschichte – wenn es denn einen gibt. Ich persönlich habe eigentlich keine echte Lieblingsfigur. Man leidet aber natürlich mit der jungen Aria Stark besonders mit. Als Literaturwissenschaftler erkennt man bei ihr Parallelen zu Traditionen der englischen und amerikanischen Literatur. Zum Beispiel Henry James oder Charles Dickens haben den Fokus auch ganz stark auf Kindercharaktere und ihre psychologische Entwicklung hin zum Erwachsensein gelegt. Und Aria wird vom Opfer zur Killerin.
Warum, glauben Sie, ist "Game of Thrones" so ein internationales Phänomen geworden?
Man stößt in der Serie auf Befindlichkeiten, die etwas mit unserer Gegenwart zu tun haben, zumindest im Westen. Der zentrale Kontinent, um den es in der Story geht, heißt nicht umsonst Westeros. Die Buch-Saga startete in den 90ern, die Serie in den 2010er Jahren. Man merkt deutlich, dass die Roman-Reihe nach 1989/90 begonnen wurde, in einer ganz neuen weltpolitischen Lage: Der Westen hat die geschichtliche Deutungshoheit immer mehr verloren, es setzte so etwas wie eine ideologische Orientierungslosigkeit ein. Nach dem 11. September 2001 hat sich das noch einmal verstärkt. Der Westen verfügt über kein politisches Narrativ mehr, das zu irgendeiner Art von Weltdeutung taugt. Das spiegelt "Game of Thrones" in radikaler Weise wider.
Haben Sie ein Beispiel?
Daenerys’ Kreuzzug zur Sklavenbefreiung in Essos, im östlichen Kontinent. Sie stammt aus Westeros und stößt auf kulturelle Widerstände, sowohl bei den "Herren" als auch bei den Befreiten. Der Humanismus, den Daenerys – zunächst mit Feuer und Schwert, das darf man auch nicht vergessen – bringt, wird von denen, für die er gedacht ist, gar nicht unbedingt akzeptiert. Und das sind Erfahrungen, die der Westen zum Beispiel mit seiner Politik im Nahen und Mittleren Osten gemacht hat. Seine eigenen Werte anderen überzustülpen, funktioniert nicht. Außerdem spielt die Serie mit bestimmten Ängsten, etwa der vor dem Fremden. In der Phantastik ist das Fremde ein großes, potentes Symbol schon seit der Schauerromantik. Hier zeigt sich eine Form von Abwehr gegenüber allem, was die Konstruktion der eigenen Identität bedroht. Nicht umsonst gibt es in Westeros eine Mauer zur Ausgrenzung einer sozial benachteiligten Minderheit, der Wildlinge.
Stichwort Daenerys: Der Serie wird oft vorgeworfen, sie sei sexistisch, auch wegen zu vieler Nacktszenen. Und Daenerys etwa wird erst verkauft und vergewaltigt, verliebt sich aber schlussendlich doch in ihren Peiniger.
Zunächst einmal: Die Hochzeitsnacht von Daenerys und Drogo ist in den Büchern anders gestaltet, nämlich einvernehmlich. In der Serie wird bei Daenerys der Zusammenhang von Sexualität und Macht sehr stark betont. In archaischen Gesellschaften gehören die weiblichen Reize, gehört die Sexualität zur Macht der Frau. Und Daenerys wird vom Opfer zur Eroberin. Aber gezeigt wird auch die andere Seite, nämlich Frauen nur als Opfer oder auch Frauen als Täterinnen. Das wird aber kaum diskutiert, sondern es geht meist um irgendwelche Nacktszenen. Das finde ich ästhetisch sehr kurzsichtig gedacht. Durch die Darstellung ihrer Sexualität lernen wir ja etwas über die Figuren.
Haben Sie zum Schluss noch einen aktuellen Serien-Tipp auf Lager?
Meine Lieblingsserie ist und bleibt "Breaking Bad". Diese Qualität ist bis dato nicht wieder erreicht worden. Wer sich für Fantasy interessiert, dem könnte "Carnival Row" mit Orlando Bloom gefallen, eine Serie, die auch sehr deutlich auf aktuelle Problemlagen abzielt. Im Prinzip wird darin die Geburt eines faschistischen Staates gezeigt, in einem Herrschaftsgebiet, das stark an England erinnert.
Staffel 8 gibt es ab sofort als DVD und BluRay, außerdem ist die Komplett-Edition mit allen Staffeln samt Bonusmaterial wie der Doku "Game of Thrones: Die letzte Wache" erschienen (Warner Bros. Home Entertainment).
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