Gedichte gegen den Hass

22.11.2016, 10:53 Uhr
Gedichte gegen den Hass

© Hans-Joachim Winckler

Das Leben der Selma Meerbaum-Eisinger war kurz. Im Dezember 1942 starb das Mädchen aus Czernowitz mit 18 Jahren entkräftet in einem ukrainischen Zwangsarbeiterlager. Ein schmales Album, in dem sie ihre Gedichte niedergeschrieben hatte, blieb erhalten. 1980 wurde ihre Lyrik zum ersten Mal in einem großen Verlag veröffentlicht. Seither wird Selmas Name oft mit dem von Anne Frank genannt. Rose Ausländer erklärte die kraftvolle Sprache und den zeitenübergreifenden Ausdruck der jungen Lyrikerin zur „Weltliteratur, die die Welt nicht kennt“.

Iris Berben findet sich damit nicht ab. Vor elf Jahren schon hat sie eine CD aufgenommen mit Gedichten Selmas, die selbst nie den Doppelnamen benutzte, sondern sich Merbaum nannte. Jetzt also dieses neue Tournee-Programm, das in Fürth erst die zweite Vorstellung nach der Premiere erlebte. „Ich habe hier gerade etwas Neues gelernt“, erklärte Berben zu Beginn und berichtete von ihrem Erstaunen darüber, dass in Selmas Heimatstadt Czernowitz seit 1905 ein Zwillingsbau des Fürther Stadttheaters steht.

Als die junge Jüdin 1942 aus der einst blühenden Kulturstadt in der Bukowina deportiert wird, ist das multikulturelle Leben brutal zerstört worden. Selma war hellsichtig. „Mit ihrer Sehnsucht nach Liebe und Zukunft wirft sie sich dem Hass entgegen. Sie klagt nicht an, sie nimmt wahr, aber sie resigniert nicht. Damit hat sie den Wahnsinn ihrer Zeit besiegt“, macht Iris Berben klar und lässt keine Zweifel daran, dass die monströse Menschenverachtung „jener Zeit“ längst nicht überwunden ist. Ihr Plädoyer für unsere Tage fordert Verständnis, Menschlichkeit, Geduld und Liebe für „all die schwierigen Aufgaben, die sich uns heute stellen“.

Als Rezitatorin ist die Schauspielerin ebenso versiert wie unaufdringlich. Wenn sie die mädchenhafte Liebeslyrik Selmas spricht, dann artikuliert sie mit einer Zartheit, die keine falsche Jugend vorgaukelt. Es mag paradox klingen, doch Berben lässt eine spürbare Nähe entstehen, gerade weil sie eine gewisse respektvolle Distanz zulässt. Einen Gegenpol in diesem klug gewählten Programm setzt sie dann unter anderem mit Paul Celans „Todesfuge“. Auch hier findet sie den eindringlichen Ausdruck in einer gewissen Zurückgenommenheit, hinter der sich umso heilloser das grenzenlose Grauen ausdehnt.

Mit Martin Stadtfeld am Flügel wird an diesem Abend ein gängiges Genre abgelöst. Dies ist keine Lesung mit musikalischen Randbemerkungen. Es ist ein Ganzes, eine Einheit von Wort und Klang, die als Gattung noch namenlos ist. Der 36-Jährige begleitet nicht einfach, sondern nimmt den Gedanken auf, der ausgesprochen wurde. Stadtfeld, der gerade einmal 23 Jahre alt war, als er sich mit seiner Einspielung von Bachs Goldberg-Variationen vorstellte, hat einen Bach-Kanon gewählt, Schuberts B–Dur-Sonate, Zeitgenössisches von Stefan Heucke.

Er lässt sein Instrument flüstern, beschreibt mit grenzenloser Sanftheit Klangbilder, die Weite mit sich bringen und eine Durchlässigkeit, die die Gedanken befreit. Stadtfeld nimmt seine Zuhörer auf in einen Kreis, der aus unerhörter Intimität gewoben ist. Eine Vertrautheit lebt auf, die aus großmütig geteilten Wissen und Erleben gespeist wird.

Ein wunderbarer Abend.

Auch wenn leider aus den Publikumsreihen kaum einen Moment lang zu überhören war, dass in Fürth die Husten-Saison begonnen hat.

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