Grüner Rasen und rotes Telefon

Thomas Heyden

22.10.2024, 08:59 Uhr
Sir Giles Gilbert Scott, Telefonzelle K6 , 1935; Richard Lindner, Telephone , 1966 (v.l.)

© Neues Museum (Annette Kradisch) Sir Giles Gilbert Scott, Telefonzelle K6 , 1935; Richard Lindner, Telephone , 1966 (v.l.)

Was gibt es Schöneres, als im Gras zu liegen? Dies dachten sich vermutlich auch die Schöpfer eines Möbels, in dem sich völlig ungezwungen sitzen oder lümmeln lässt. Allein oder gerne auch zu zweit. Elastische Halme aus Polyurethan sind weich genug, um verschiedene Positionen einnehmen zu können. Sich zwischen den Grashalmen von Pratone (1971) ganz klein fühlen zu dürfen, bereitet ein zusätzliches Vergnügen. Dies ist Effekt jenes Blow-up, das Pop-Art-Künstler wie Claes Oldenburg schon in den 1960er-Jahren entdeckt hatten. „To blow up“ vereint im Englischen die Bedeutungen von „aufblasen“ und „vergrößern“. Den Zusammenhang versteht jedes Kind, das schon einmal einen Luftballon oder einen Schwimmreifen aufgeblasen hat.

Zusammen mit seinem Designpartner, der Neuen Sammlung in München, hat das Neue Museum einen ganzen Raum eingerichtet, der dem Blow-up nachspürt. Dazu zählt neben dem Rasenstück auch ein wandfüllendes, selbst also „aufgeblasenes“ Foto, das eine pneumatische Skulptur der Künstlergruppe Haus-Rucker-Co in Gestalt eines überdimensionalen Fingers zeigt.

Der Beitrag zum sogenannten Symposion Urbanum in Nürnberg 1971 verkörperte die Hoffnungen einer Zeit, die Zukunft in radikal neuartigen, oft utopischen Lösungen suchte. Manchem war es offensichtlich zu viel an Fortschritt. Nachdem der Finger am Marienberg dreimal aufgeschlitzt worden war, wurde er schließlich Ende der 1970er-Jahre demontiert.

Der zweite neu eingerichtete Double-Up!-Raum ist dem weiten Feld der Kommunikation gewidmet – vom Brief bis hin zur gesprochenen Nachricht per Mobiltelefon. Die Digitalisierung der Kommunikation lässt die Zeugen früherer technischer Entwicklungsschritte verstaubt erscheinen.

Doch ob öffentliche Telefonzelle und klappernde Schreibmaschine aus der Vergangenheit oder Computer und Smartphone von heute – immer ist an der Schnittstelle zwischen Technik und Nutzung Gestaltung gefragt. Ein besonders schönes Beispiel ist Giles Gilbert Scotts rote Telefonzelle, die zu einem Wahrzeichen Großbritanniens wurde. Eine New Yorker Telephone Booth ist der Schauplatz von Richard Lindners großem Schweigen zwischen Mann und Frau.

Nicht nur in dem berühmten Thriller Bei Anruf Mord spielt das Telefon eine tragende Rolle. Christian Marclay hat Filmszenen am Telefon zu einer Collage zusammengeschnitten. Hier klingelt’s nicht nur einmal!

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