Haydns Überraschungs-Gag
22.10.2018, 19:08 UhrKahchun Wongs asiatisches oder amerikanisches Publikum liebt die virtuosen, raffiniert oder exotisch instrumentierten Orchesterstücke: Und es muss auch in Nürnberg nicht immer eine Fernost-Uraufführung sein, sondern auch sowas Quirliges, Knalliges, Buntes, Rhythmisches wie Igor Strawinskys Ballettmusik "Petruschka".
Dafür muss ein Orchester sportlich und präzise trainiert sein (wie schon 2011 zu Alexander Shelleys Zeiten). Noch dazu wenn in der viersätzigen Orchesterfassung diese virtuose, typische Strawinsky-Mischung von Zirzensik, Gefühlsamplituden, Jazz und Klassizismus kaum Verschnaufpausen lässt.
Strawinskys "Petruschka"
Da legt Wong mit vollen Händen los: Die Nürnberger Symphoniker könnten den altrussischen "Jahrmarkt" anfangs noch kantiger, gestisch klarer spielen, aber mehr und mehr gelingt ihnen das Ordinär-Kirmeshafte, danach die Poesie von Petruschkas Puppenwelt. Die formuliert Wong sehr plastisch und kann sich dabei bestens auf seine Symphoniker-Solopulte verlassen: für die raffiniert nuancierten Farben, auch für die marionettenhafte Zartheit, die an den Uraufführungstänzer Nijinsky erinnert. Wong und die Symphoniker eroberten sich authentisch und überzeugend dieses hinreißende Terrain, der fulminante Schluss garantierte einen kräftigen Bravo-Chor.
Richtig neu im Programm war aber eine Haydn-Premiere: zumindest für die Symphoniker. "Il Distratto" heißt seine Schauspielmusik für Esterhazys Schlosstheater, schon die dazugehörige Ouvertüre erzählt von dem zerstreuten Liebhaber, der Liebesbriefe durcheinander bringt und seinen Hochzeitstermin vergisst.
In der Meistersingerhalle präsentierten die Symphoniker die daraus geronnene Sinfonie — im Haydn-Kosmos die Nummer 60. Dafür hätte sich schon das Lustspiel-Allegro bei Wong entschiedener auf die Seite einer knackigen historischen Aufführungspraxis schlagen können. So blieb es bei scharfen Streichertönen, eher unentschieden formulierten Pointen und bloßen Nettigkeiten. Um eines klar zu sagen: Die Stimmpause im Finale war ein Überraschungs-Gag – nicht von Wong, sondern von Haydn.
Spitzentrompeter Manuel Blanco
Um delikate Interpretationsfragen ging es bei der Trompetenstunde von Manuel Blanco (33) nicht. Weder im programmgemäßen Trompetenkonzert von Alexander Arutjunjan aus Eriwan in Riesenbesetzung und mit Breitwandklang, schmalzigen Gefühlen und knalligem Trompetengewitter. Und auch nicht in der nahezu gleich langen Zugabe: dem Variationsknüller "Mein Hut, der hat drei Ecken", vermutlich in der Trompetenfassung von Jean-Batiste Arban.
Der junge Spanier ist nach seinem ARD-Wettbewerbs-Sieg 2011 weltweit unterwegs und liefert zuverlässig nahezu uneingeschränkte Lungenkraft und Intonationssicherheit ab: souverän, sportiv – da staunt sogar der Dirigent über die Glitzer-Kadenz aus Georgien und über die geschliffene neapolitanische Volksweise.
Am 3. November gastiert bei den Symphonikern wieder ein ARD-Preisträger. Mit Nürnberg-Beziehungen und auf der Klarinette: Sebastian Manz. Karten unter Telefon 09 11 / 4 74 01 54.
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