Ibsens "Nora" in Nürnberg: Emanzipation in feministischen Zeiten
5.11.2019, 11:14 UhrHenrik Ibsens Emanzipationsstück "Nora" mochte Andreas Kriegenburg nie, sagt er. Und hat es jetzt im Nürnberger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Klar, dass da immanenter Widerspruch nicht ausbleibt, schließlich wollte der Regisseur keiner Schauspielerin das Hascherl-Profil dieser Bühnenfigur zumuten, das zur Uraufführung 1879 vielleicht noch aktuell war, heute aber deutlich Staub angesetzt hat.
Wie also erzählen von dieser Ehe-Umpolung, in der das Frauchen vom Leben als Projektionsfläche genug hat und am Ende das Weite sucht? Kriegenburg hat Ibsen ein paar Nachhilfestunden verordnet, mit seinem Team kräftig am Text herumimprovisiert und einen witzigen, schlauen Prolog dazugedichtet, den nicht Nora, die Titelfigur spricht, sondern Pauline Kästner, die Schauspielerin.
Wer‘s noch nicht gemerkt hat, dass er im Theater ist, kriegt es deutlich gemacht: "Als feministisch denkende Frau lehne ich Nora als Figur ab – aber es ist WIRKLICH EINE TOLLE ROLLE!", schwadroniert Pauline Kästner mit lustvoller Ironie. Mitten im im Dialog hinterfragt sie auch mal das Spiel mit der "vierten Wand" und bittet später ins Publikum, ob ihm jemand den Mantel ihres Gatten reichen kann – die Freiwillige kriegt dafür die angekaute Sahnetorte.
Slip im Waschbecken als Ehe-Taktik
Man kann in dieser gut dreistündigen Inszenierung also der Produktion auf höchst unterhaltsame Art beim Entstehen zuschauen, Zweifel, Spaß und auch Kalauer des Teams aus den Proben werden mitgereicht, Abstraktes wie die dem Hausherrn Torvald verhasste Unordnung, die Ibsen erwähnt, übergroß verbildlicht: "Ich lass meinen Slip im Waschbecken liegen, wenn ich nicht ausgehen will. Dann kriegt er schlechte Laune – funktioniert immer!" Pragmatischer Egoismus heißt sowas hier.
Klar, so ein Konzept steht und fällt mit der Hauptdarstellerin. Die entfesselt spielende Pauline Kästner hat ihn drauf, den girlie-haften Augenaufschlag im liebevollen Geplänkel mit ihrem Mann, die exaltierte Fröhlichkeit, die es braucht, um am Ende dieses häuslichen Höllentrips doch zu verzweifeln. Ggemeinsam mit der als durchweg gescheitert konzipierten Jugendfreundin Kristine (zwischen trocken und durchtrieben: Julia Bartolome) entlarvt sie den alten Ibsen als gnadenlos rückständigen Prä-Feministen. Nora trägt ausschließlich rot am eleganten Leib – die "Königsfarbe" (Kostüme: Andrea Schraad). Es hilft nichts, diese Frau wird auch in blutroter Robe vom Thron fallen.
Die mädchenhafte Nora und der soeben zum Bankdirektor aufgestiegene, prinzipientreue Torvald (Maximilian Pulst gibt ihn berechnend-komödiantisch) – diese beiden haben eine Verabredung, spielen Haschmich in ihrer eigenen Sprache, neckisch und gutwillig den gegenseitige Schwächen gegenüber. Dass Nora ausgerechnet stolpert und stürzt, weil sie zuvor ihm zuliebe eine Straftat begangen hat, macht die Ironie noch greifbarer.
Erotische Riesen-Nora
Den langgestreckten, klinisch weißen Kasten, den Kriegenburg für diesen Schlagabtausch entworfen hat, prägt übergroß das Aktbild der Hausfrau: "Ich hasse dieses Bild!" sagt sie gleich zu Anfang und stellt damit klar, dass sie ihrem Gatten zwar Wünsche erfüllt, aber durchaus nicht ohne inneren Widerstand und bröckelnden Respekt. Auf die Po-Kurve würde sie gern Skifahrer kritzeln, sterbende Kiefernwälder in die Taillensenke der erotischem Riesen-Nora. "Aber ich habe kein Talent."
Ausgerechnet zu Weihnachten tauchen nicht nur die verbitterte Kristine, sondern auch Krogstadt (Tjark Bernau) auf, der Nora Geld geliehen hat, ohne dass ihr Mann davon wusste. Diese beiden Störenfriede waren früher mal ein Paar, aus finanziellen Gründen hatte Kristine Krogstadt sitzen lassen. Später werden sie sich verbünden gegen das zur Schau gestellt Glück von Nora und Torvald und damit die Katastrophe gezielt herbeiführen.
"Frauen öffnen Räume"
Doch vor der Pause sind Nora und Kristine noch ein Frauen-Team, lassen sich über Billig-Klamotten vom Kleider-Discounter ironisch aus und drücken das sexy Wandbild mit vereinten Kräften weg: "Frauen öffnen Räume".
In der zweiten Hälfe verengen sich diese Räume aber immer wieder. Mit verschmierten Lippenstift-Spuren im Gesicht versucht Nora/Pauline das in Stücke brechende Image dieser Frau zusammenzuhalten und gerät dabei in Debatten zwischen Rolle und Darstellerin: "Scheiß moderne Single-Fernbeziehungs-Tussi" schimpft die Figur ihre Darstellerin.
Die Aufspaltung in Sein und Schein ist literarisch nichts Neues. Andreas Kriegenburg bleibt auch einige Antworten auf die selbst gestellten Fragen schuldig. Dafür liefert er konsequent einen Showdown, der trotz Distanzierung zum Text fesselnd wird.
Traurige Heiterkeit
Der Freund des Hauses, Dr. Rank (Raphael Rubino mit brummbär-freundlicher Zuversicht) ist vom Tod gezeichnet und schwört Nora auch noch seine Liebe – zu viel, um ihn zu bitten, ihr aus der Patsche zu helfen. Krogstadt droht öffentlich zu machen, dass Nora eine Unterschrift gefälscht hat.
Konsequent bleibt die oberflächliche Heiterkeit, mit der gegen die welkende Liebe angekämpft wird: Als Charlie Chaplin verkleidet tanzt Nora mit Torvald (er im Marilyn-Monroe-Dress) und Rank (im Clownskostüm) den Tango. Als ihre Lebens- und Liebes-Lüge raus ist, gelingt Nora nicht mal der Sturz eine Etage tiefer. "Ich wollt, es würd’ einmal ein Wunder geschehen" trällert sie traurig und gesteht: "Jetzt verstehe ich, was Pauline gemeint hat. Wir sind gefangen in unseren Rollen". Kästner vor allem, aber auch dem Ensemble und der Regie galt der donnernde Applaus.
InfoAufführungen am 7., 14., 16., 22. November; 12., 17. und 25. Dezember, Karten-Tel. 09 11/ 216 27 77.
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