"Jazz & Blues Open" in Wendelstein

Von Hans von Draminski und Birgit Nüchterlein

29.4.2019, 11:21 Uhr

Wendelstein. Ach ja, die Achtziger. Ein ziemlich durchgeknalltes Jahrzehnt, in dem auch die Popmusik Kapriolen schlug, die teils sehr überflüssig waren (wer braucht Sänger mit Vokuhila-Frisuren?), zum Teil aber Bestand über ihre Epoche hinaus hatten. Etwa jene Jazz- und Soulwelle, auf der Matt Bianco und Sade schwammen – aber auch Lisa Stansfield, die rund drei Jahrzehnte später immer noch frisch und munter wirkt. Obwohl ihre Musik eigentlich aus der Zeit gefallen ist.

Was auch daran liegt, dass Stansfield sich in vielerlei Hinsicht gegen den vermeintlichen Mainstream stemmt. Die Britin wehrt sich mit Vehemenz nicht nur gegen den Brexit, sondern auch gegen kurzlebige Pop-Moden. Weshalb ihr energiegeladener Soul immer noch klingt wie 1989, als mit "All Around The World" ihr wohl größter Hit herauskam. Das restliche Repertoire, das Stansfield beim Wendelsteiner "Jazz & Blues Open" in der gut gefüllten Eventhalle serviert, ist tanzbarer Stoff, der so schwarz klingt, wie es eine weiße Engländerin vermag, und der sich nie anbiedert, obwohl er wie flüssige Schokolade in Ohr und Beine geht.

Was Lisa Stansfields Repertoire spürbar von dem unterscheidet, was die rockende Soulkatze Judith Hill zuvor als Aufwärmprogramm serviert hatte. Hill ist hierzulande noch ein Geheimtipp. Vielleicht, weil die Tochter des afroamerikanischen R & B-Bassisten und Produzenten Robert "Peewee" Hill und der japanischen Pianistin und Keyboarderin Michiko sich wenig um Eingängigkeit schert. Hier werden dem Publikum ungerade Taktmaße und knüppelharte Beats in Highspeed-Version um die Ohren gehauen, bis man entweder ekstatisch vor der Bühne herumzappelt oder erschöpft die Segel streicht.

Hills Papa dominiert den Sound der Band mit druckvollem Slapbass, derweil Mama die Hammond-B3- Orgel frenetisch wimmern und kreischen lässt – und nicht nur damit an Yoko Ono erinnert. Hill und Stansfield: Zwei Powerfrauen, bei denen sich Charisma mit musikalischem Selbstbewusstsein paart: Diese Musikerinnen laufen keinen Trends hinterher, sie setzen sie. Mit Nachdruck.

Muskelspiel am Bass

Dass beim Wendelsteiner Festival (bis 1. Mai) die titelgebenden Genres Jazz und Blues nicht unbedingt den Ton angeben müssen, zeigt auch der folgende Abend. Und wieder stehen zwei Musiker auf der Bühne, die sich um den Mainstream nicht die Bohne scheren. Sowohl der Kameruner Saxophonist Manu Dibango als auch der amerikanische Fusion-Bassist Stanley Clarke machen seit langen Jahren ihren eigenen Sound. Allerdings mit ganz und gar unterschiedlicher Herangehensweise.

Es dauert eine ganze Weile, bis der mit 85 Jahren immer noch ziemlich agile Manu Dibango die Distanz zum Publikum überwinden kann. Was sicher auch daran liegt, dass der Afro-Jazz-Pionier, seine Musiker und die beiden Backgroundsängerinnen anfangs gefährlich nach gediegener Tanzsaal-Band klingen. Doch das ist ganz offensichtlich Teil der Dramaturgie. Dibango hat Erfahrung, er weiß, dass es die Zuschauer bald nicht mehr auf ihren Stühlen halten wird. Dazu braucht er weder eine große Show noch ein allzu aufwendiges oder gar innovatives Spiel.

Vielmehr sind Entspanntheit und Coolness bei dieser Afro-Funk-Latin-Jazz-Fusion das Gebot der Stunde, ein immer dichterer Rhythmus-Teppich macht das Ganze dann doch unwiderstehlich und mitreißend. Und spätestens bei der argentinischen Ballade "Alfonsina y el Mar" springt der Funke über.

Dagegen zelebriert Stanley Clarke vom Start weg ein ziemlich testosterongesättigtes Fusion-Jazz-Gewitter. Stets im Zentrum stehen der 67-jährige US-Slap-Meister selbst und der Sound, den er an Elektro- und Kontrabass produziert. Was Clarke und seine Mitspieler inszenieren, ist handwerklich schwer beeindruckend und über alle Zweifel erhaben. Doch vor allem spielen sich hier gut aufgelegte Virtuosen ausgiebige Soli wie Bälle zu. Klar, so geht Fusion-Jazz, die Musik an sich und ihre Seele bleiben dabei aber weitgehend außen vor.

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