Jedem die eigene Hölle
10.1.2012, 00:00 UhrWas, wenn Raum und Zeit tatsächlich überschätzt werden? „Zeit ist wie ein Zugfahrplan“, sagt Kurt Gödel einmal in „Geister in Princeton“: „Die Ereignisse sind die Stationen, an denen er hält. Aber egal wo du bist, die anderen Stationen gibt es noch. Sie verschwinden nicht. Und der Zug fährt im Kreis. Jeder Moment ist für immer.“
Wenn das stimmt, dann gibt es für Regisseure von Daniel Kehlmanns erstem Stück unendliche Möglichkeiten. Zumal in „Geister in Princeton“ die Welt ohnehin aus den Fugen ist: Das Stück beginnt und endet mit dem Tod des genialen Mathematikers Kurt Gödel. Wer hier aber (noch) lebt, ist nicht immer klar, schließlich spricht Gödel mit Geistern, auch, weil er selbst sein Leben noch einmal leben muss: „Jedem die eigene Hölle. Das ist deine.“
Eitler Wissenschaftszirkus
Flirrend zwischen Genie und Wahn, klarster Logik und ständigen Paradoxien skizziert das Stück wichtige Lebensstationen Gödels, den eitlen Wissenschaftszirkus, die alltäglichen Absurditäten und seine dämonischen Ängste. Am Berliner Renaissance-Theater klotzt Torsten Fischer „Geister in Princeton“ als Geschichtsstunde hin: Heikko Deutschmann und seine Doppelgänger tragen historisch korrekte schwarze runde Brillen im markanten Gesicht, die Herren der Wissenschaft scheinen in ihren schwarzen Anzügen einem Film noir der 1940er entsprungen.
Wo Kehlmanns Text ein Spiel mit den Ebenen und Nuancen ist, die man ins Surreale ausreizen könnte, wird hier alles eins im historisierenden Mezzoforte vor der großen Spiegelwand: Dass etwa Katja Bellinghausen als Gödels Frau Adele immer gleich alt bleibt, gehört zur Zeitlogik Gödels und des Stücks, passt aber nicht ins biografische Raunen der Inszenierung. Zudem sind viele Nebenrollen einfach schlecht besetzt.
Natürlich zünden auch hier Kehlmanns Pointen, und wenn sich Boris Aljinovic und Nikolaus Okonkwo als sibirische Posten langweilen, bis die Gödels wie eine Erscheinung vom Schneesturm durch die Flügeltür hereingeweht werden, dann macht das ebenso Spaß wie das wunderbar erfundene Gespräch zwischen Gödel und Einstein, der bei Gerd Wameling ein Opa zum Knuddeln ist: Putzig stapft er herum mit seiner weißen Mähne und dem Großvater-Schnauz, dazu weite Hosen, keine Socken. Ein Schussel-Professor, der immer ein bisschen bedröppelt guckt.
Vielleicht, damit der Gegensatz zum jüngeren, genialeren, aber weitaus verrückteren Kollegen Gödel umso deutlicher ausfällt: Der virile Heikko Deutschmann wird, leicht vornüber gebeugt und mit starrem Blick, zum grauen Schlacks, einem kindlichen Greis, der erst richtig erwacht, wenn er argumentieren darf.
Dann schnellen seine Sätze scharf durch den Raum, etwa im Schlagabtausch mit seiner Frau Adele. Und wie da zwischen dem Muttersöhnchen Kurtsy und der patenten Adsel die Funken fliegen, hat so viel Witz wie die Anekdötchen um Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt in Kehlmanns Millionenerfolg „Die Vermessung der Welt“.
Verprellte Regisseure
Dennoch: Wie dieses Stück am Deutschen Theater oder an der Schaubühne gelänge, würde man zu gerne wissen. Dass der Meister der subtilen Biografie-Verwertung dort nicht aufgeführt wird, dürfte an einer Rede liegen, die er 2008 bei den Salzburger Festspielen hielt (wo er auch die Entstehung des Stücks ankündigte): Da hieb er so undifferenziert auf das Regietheater ein, dass es wenig große Regisseure geben dürfte, die Lust auf „Geister in Princeton“ haben. Schade eigentlich.
Weitere Vorstellungen: 11.–15. Januar, 9.–12., 24.–26. Februar; Karten-Telefon: 030/3124202.
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