Entscheidungen im Juli

„Kultur-Mega-Projekt“ Kongresshalle: Hat die Presse tatsächlich eine „Mär“ verbreitet?

Verena Gerbeth

nordbayern.de

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29.6.2024, 05:00 Uhr
Die Kongresshalle am Dutzendteich ist der größte erhaltene Torso aus dem Bereich der NS-Architektur und gilt als nationales Erbe.

© Hans-Joachim Winckler Die Kongresshalle am Dutzendteich ist der größte erhaltene Torso aus dem Bereich der NS-Architektur und gilt als nationales Erbe.

"Das marode Opernhaus am Richard-Wagner-Platz wird spätestens zum Jahresende 2025 geschlossen und umfassend saniert - ein Interim muss bis dahin bereitstehen", hieß es unter anderem in der Aufgabenbeschreibung von Seiten der Stadt Nürnberg, als es um einen passenden Standort einer Ausweichspielstätte in oder an der Kongresshalle ging. Außerdem war darin zu lesen: "Aufgrund erheblicher baulicher und technischer Mängel wird das Opernhaus (...) 2025 nach mehr als 120 Jahren seine Betriebserlaubnis verlieren."

Längstens bis 2025 könne das Opernhaus noch betrieben werden, dann sei der Umzug in ein Interim zwingend erforderlich. Durch das Erlöschen der Erlaubnis sei der Zeitplan stark determiniert. Die Stadt Nürnberg ließ sogar einen Trickfilm produzieren, der die Dringlichkeit unterstrich: Die gestiegenen Anforderungen würden keinen Aufschub dulden, sonst drohe die Schließung - die Botschaft war deutlich.

Entsprechend wütend waren einige Mitglieder des Nürnberger Stadtrats, der sich Ende 2021 mit großer Einigkeit für den Umzug auf das ehemalige NS-Gelände entschieden hatte, als im März 2023 klar wurde: Das Opernhaus bleibt noch mindestens bis 2027 geöffnet. Der Zeitdruck war wohl doch nicht so hoch gewesen, es sei bei der Diskussion offenbar mit falschen Karten gespielt worden, so lauteten damals die Vorwürfe unter anderem von Titus Schüller (Die Linke). Bei Andrea Thiele (Die Guten) wuchsen die Zweifel. "Ich denke, 2027 wird das Interim auch noch nicht fertig sein", sagte sie damals den "Nürnberger Nachrichten". Die Kosten für die Bauvorhaben dürften inflationsbedingt mit jedem Jahr, das noch verstreichen wird, deutlich steigen.

Eine "Mär" aus der "Presse und anderswo"?

Im vergangenen Jahr hat der Geschäftsbereich Kultur einen eigenen Instagram-Account für das geplante "Kulturareal Kongresshalle" eingerichtet. "BESSER WISSEN" heißt das Format auf dem Kanal, auf dem der Geschäftsbereich Kultur das "Mega-Kultur-Projekt" präsentiert und für Aufklärung sorgen will. In einem Posting aus dem Frühjahr 2024 werden die Entwicklungen rund um den verzögerten Zeitplan so dargestellt: "In der Presse und anderswo" sei in der Vergangenheit von einer "Betriebserlaubnis" zu lesen gewesen, die "Ende 2025 auslaufe, weswegen das Opernhaus seinen Spielbetrieb dann einstellen müsse". Es handle sich bei der "auslaufenden Betriebserlaubnis" um eine "Mär". Laut Baureferent Daniel F. Ulrich gebe es die eine Betriebserlaubnis, die über Betrieb oder Einstellen entscheide, gar nicht.

Dass ein Verlust der Betriebserlaubnis im Jahr 2025 und damit eine ultimative Frist von Seiten der Stadt selbst in der Diskussion immer betont wurden, fehlt nun in der Nacherzählung. Dabei waren es jene Informationen, auf die sich die Berichterstattung (unter anderem der "Deutschen Presseagentur" und des "Bayerischen Rundfunks") stützte.

Mehr als nur eine Spielstätte

Doch was ist eigentlich geplant mit dem denkmalgeschützten Nazi-Koloss am Dutzendteich? Die Stadt Nürnberg denkt seit vier Jahren groß, was die Zukunft der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitag angeht. Auf 7000 Quadratmetern sollen Ausstellungs- sowie Arbeitsräume für die zeitgenössische Kunstszene entstehen. 44 Millionen Euro waren bislang für diese Ermöglichungsräume angesetzt. Aus dem Förderprogramm "KulturInvest" des Bunds kommen 20 Millionen Euro dafür. Das Programm übernimmt auch für die allgemeine Instandsetzung des Rohbaus, bislang auf 59 Millionen Euro geschätzt, genau die Hälfte.

Und dann wäre da noch die Ausweichspielstätte, in die die Oper während der Sanierungsphase ab 2027 einziehen soll. 108 Millionen wurden veranschlagt, 42 Millionen fallen allein auf den Ergänzungsbau im Innenhof. 75 Prozent der Kosten für den Bau sollen nach dem Bayerischen Finanzausgleichsgesetz gefördert werden. Die Mittel sind beantragt, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von Seiten des Freistaats ermöglichte das Vergabeverfahren für den Ergänzungsbau.

Welcher Totalübernehmer die Errichtung und Planung des Ergänzungsbaus (Bühne, Zuschauerraum, Orchesterprobenraum und Funktionsbereiche) übernimmt, entscheidet sich schon im Juli. Die eingereichten Entwürfe werden von drei Gremien begutachtet, die Opernhauskommission formuliert dann eine Empfehlung für den Stadtrat. Am 17. Juli, in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause, stimmt dieser dann über die Vergabeentscheidung ab.

Auch die Gesamtfinanzierung muss in der Sitzung neu verhandelt werden, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt Nürnberg. Die veranschlagten Kosten von 2022 sind mittlerweile wohl kaum noch anwendbar - der vom Stadtrat gesetzte Kostendeckel von 211 Millionen wird wahrscheinlich übertroffen. Und nun? Schon 2022 war von Seiten des Baureferats der Vorschlag zu vernehmen, die Künstlerateliers im Fall einer Verteuerung schrumpfen zu lassen.

Bye-bye Interim?

Kernstück des geplanten Areals ist schließlich die Ausweichspielstätte des Staatstheaters - oder besser: Kernstück ist die geplante Spielstätte in der Kongresshalle, in die die Oper für mindestens zehn Jahre umziehen wird. Markus Söder stellte bereits Anfang 2022 klar: Er sei überzeugt, dass ein Neubau auf Dauer bleibe. Der Freistaat rückt mit den FAG-Mitteln nur raus, "wenn das Gebäude mindestens 25 Jahre genutzt wird", heißt es auf Anfrage bei der Stadt.

Ein aufwendiger Ein- und Anbau für modernes Musiktheater bleibt der Kongresshalle also erhalten. Schon von Beginn an kursierte die Annahme, dass sich Nürnberg keine zwei kostspieligen Kulturprojekte leisten können wird. Der Blick in andere Städte zeigt: Die aufwendige Sanierung der historischen Opernhäuser über etwa zehn Jahre hinweg, treibt die Kosten schon mal auf rund 500 Millionen bis zur Milliarden-Marke. Dass die Oper in bekannter Form an den Richard-Wagner-Platz zurückkehrt, das könnte immer unwahrscheinlicher werden. Gibt ein verändertes Wording der Stadt einen weiteren Hinweis darauf?

Seit über einem Jahr fehlt ein Wort

Denn seit März 2023 ist nicht nur klar, dass sich der Umzug in die Kongresshalle noch um Jahre hinziehen wird, die Stadt hat sich seither dazu entschieden, in ihrer öffentlichen Kommunikation das Wort "Interim" zu streichen. Vom gewohnten "Operninterim" oder der "Ausweichspielstätte" für das Staatstheater berichten nur noch die Lokalmedien. In der Wortwahl von Seiten der Stadt ist nun ausschließlich die "Spielstätte" für das Staatstheater samt Ergänzungsbau im Innenhof zu finden.

Die Verantwortlichen weisen solche Mutmaßungen zurück. Und verweisen auf den Grundsatzbeschluss vom Dezember 2021, "die Sparten ,Musiktheater‘ und ‚Ballett‘ des Staatstheaters Nürnberg am Standort Richard-Wagner-Platz dauerhaft zu erhalten". "Dieser Stadtratsbeschluss gilt nach wie vor", betont Hans-Joachim Wagner, Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände und Zeppelintribüne. Man habe sich aufgrund der geforderten 25-jährigen Nutzungsdauer für das neue Wording entschieden.

Unter anderem der Nürnberger Grünen-Fraktionschef Achim Mletzko sagte im November gegenüber den "Nürnberger Nachrichten" offen, er gehe davon aus, dass aus dem Interim eine andauernde Spielstätte werde. "Neue Spielstätte fertigstellen – Umzug abwickeln – neue Spielstätte entwickeln und bespielen – alte Spielstätte erst mal ruhen lassen, setzen lassen, nicht gleich hektisch mit irgendwelchen Generalsanierungen beginnen", so seine Einschätzung. Bislang stehen noch keine konkreten Pläne für die Opernhaussanierung fest – Aussagen zu Kosten wären rein spekulativ, heißt es mittlerweile. Erst einmal sind die Entscheidungen zur Kongresshalle an der Reihe.

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