Liebe schützt vor Überraschung nicht
20.5.2010, 00:00 UhrNein, nicht Ingeborg! Ingrid heißt sie, Ingrid Rein. Da wird man als Übersetzerin, von Berufs wegen ans Schattendasein gewöhnt, mal vor großem Publikum namentlich erwähnt und gelobt – und dann muss sich Ijoma Mangold, neben Amelie Fried der wenig glückhafte Moderator der ZDF-Sendung »Die Vorleser«, ausgerechnet versprechen! Das hat wehgetan.
Aber dem Buch – das weiß auch Ingrid Rein – sicher nicht geschadet. Im Gegenteil. Die Erzählungen des amerikanischen Großautors Henry James, die sie unter dem Titel »Benvolio« übersetzt hat, sind literarische Kostbarkeiten, die sonst wohl nur eine begrenzte Interessentenzahl wahrgenommen hätte. Und die doch viele Leser verdienen (416 Seiten, 22,95 Euro).
»Ich hätte da was!« – so wurde Rein vor ein paar Jahren mit ihren Fundstücken beim Manesse Verlag in München vorstellig. Und: Manesse hatte Interesse. Gemeinsam mit der Lektorin wurden fünf Geschichten von Henry James (1843 – 1916) ausgewählt, die nun alle zum ersten Mal auf deutsch vorliegen.
»Verblüffend, wie viel schon in diesen frühen Werken angelegt ist«, sagt Rein, 57. Etwa das zwiespältige, oft trügerische Verhältnis von Amerikanern und Europäern. Falsche Erwartungen und unglückliche Liebe. Schwache Männer und starke Frauen. Themen, die James später – mit Hang zur epischen Breite und größter psychologischer Genauigkeit – immer wieder aufgriff.
Raffiniert und doch ungemein frisch schon die erste Story von 1866: »Ein Landschaftsmaler« sucht am Meer in New England Erholung – und landet im unsicheren Hafen der Ehe. Weil er von einer früheren Verlobten, die nur sein Geld wollte, enttäuscht wurde, gibt er sich als armer Künstler aus. Als solcher fühlt er sich nun auch von der so bescheiden wirkenden Lehrerin Esther geliebt. Ein Irrglaube – mit böser Überraschung . . .
Überraschungen birgt freilich auch das Handwerk des Übersetzens. »Oft denkt man: Das liest sich gut im Original, das geht ganz locker. Und erkennt dann: von wegen locker!« Henry James, stilistisch durchaus einem Thomas Mann vergleichbar, hat eben seine Tücken, schon wegen der langen, verschachtelten Sätze.
Aber seit mehr als 20 Jahren lebt Rein, gebürtige Vorarlbergerin, mit ihrem Mann in Fürth – und genauso lang hat sie sich immer wieder, mit stilvollen, wunderbar eleganten Übertragungen englischer Klassiker bewähren können. Angefangen bei Emily Brontës »Sturmhöhe« bis zu Oscar Wildes »Dorian Gray«. Rund ein Jahr sitzt sie an einem Buch, und gern recherchiert sie dazu vor Ort. Auch James’ britischen Wohnsitz Lamb House hat sie bereist.
Schon bei ihrem Studium in Marburg war ihr Schwerpunkt das 19. Jahrhundert – »die Zeit, in der ich mich am wohlsten fühle«. Auf Werke wie Henry James’ ausufernde späte Romane, etwa »Die Flügel der Taube«, hat sie allerdings wenig Lust, gibt Ingrid Rein zu. Ironisch zuckt es um ihre Lippen. »Da hab ich Respekt – und lass’ lieber die Finger davon . . .«
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