Mohamed Amjahids "Der weiße Fleck": Wie man Rassismus verlernt

9.3.2021, 09:25 Uhr
Wie verlernt man Rassismus? Der freie Journalist und Autor hat mit "Der weiße Fleck" ein Buch geschrieben, das jeder Leserin und jedem Leser eine Anleitung sein kann.

© M. Heinke / Piper Verlag / Montage: Tobias Paulig Wie verlernt man Rassismus? Der freie Journalist und Autor hat mit "Der weiße Fleck" ein Buch geschrieben, das jeder Leserin und jedem Leser eine Anleitung sein kann.

"Anleitung zu antirassistischem Denken" lautet der Untertitel von Mohamed Amjahids neuem Buch "Der weiße Fleck" - und es ist auch und vor allem für diejenigen Leute besonders lesenswert, die jetzt reflexhaft erst einmal denken: "Brauch' ich nicht".

Denn auch wer meint, gesellschaftlich alert und aufgeklärt zu sein, "keine Hautfarben zu sehen", wie es in dem Zusammenhang oft vermeintlich wertneutral heißt, bewegt sich nun mal in einer Gesellschaft, die Minderheiten strukturell benachteiligt.

Wie wird man ein "Ally"?

Und von dieser Diskriminierung ist man als deutsch-weißer Bürger nicht nur nicht negativ betroffen, sondern man profitiert auch noch von ihr. Rassismus existiert. Sich das bewusst zu machen, einzugestehen, dass man in vielerlei Hinsicht auf der privilegierten Seite eines ungerechten Systems lebt, ist der erste Schritt, ein "Ally" zu werden, ein Verbündeter.

Von diesen Schritten zeigt Amjahid, der kürzlich einer breiteten Öffentlichkeit durch seinen Auftritt in Enissa Amanis "Die beste Instanz" bekannt geworden sein dürfte, noch viele weitere auf. Das YouTube-Format der Comedian Amani war eine Reaktion auf das in der Öffentlichkeit stark kritisierte WDR-Talkformat "Die letzte Instanz", indem das Thema diskriminierende Sprache völlig ohne Betroffene "abgehandelt" wurde.


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Wie es sich für eine gute Anleitung gehört, geht Amjahid ganz zurück zu den Basics. So erklärt er nochmal für alle, warum es zum Beispiel so etwas wie Rassismus gegen Weiße ("reverse racism"), der ja gerne populistisch beschworen wird, nicht gibt - ja gar nicht geben kann: weil es dafür eine komplette Umkehr der Historie bräuchte.

Wären Kolonialismus, Versklavung und Ausbeutung anders herum ausgeübt worden und hätten eine Weltordnung geschaffen "in der Afrika, Teile von Asien und Südamerika das Zentrum, Europa und Nordamerika die Peripherie bilden", dann, und nur dann, gäbe es heute womöglich so etwas wie Rassismus gegen Weiße. "Bekanntermaßen kam es aber anders", konstatiert der Autor. Deshalb ist auch ein Begriff wie der neudeutsche "Alman" (vom türkischen und arabischen Wort für "deutsch"), ein "humorvoll gemeinter, lässiger Begriff", nicht rassistisch. Oder wie der Autor es formuliert: "Das Wort Alman wird kein einziges weißes Privileg neutralisieren."

Weiße treten bei der "Opferolympiade" an

Anhand vieler teils persönlicher Beispiele beschreibt er die Mechanismen, die oft am Werk sind, wenn weiße Menschen mit dem Thema Rassismus konfrontiert werden. So zum Beispiel die "Opferolympiade", bei der Mitglieder der weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft versuchen, sich selbst als die eigentlich diskriminierten darzustellen, um auch ein Stück Solidarität abzukommen und ihre sowieso schon privilegienreiche Situation noch ein wenig besser zu gestalten.


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Dass das alles oft gar nicht so leicht zu lesen ist, auch dafür liefert Amjahid bereits auf den ersten Seiten eine Erklärung: Denn weiße Menschen seien eben daran gewöhnt, "dass ihr Weißsein gar nicht erst thematisiert wird".

Und weiter: Angehörige der Mehrheitsgesellschaft erwarteten daher, dass "ihre Positionierung und ihre strukturellen Privilegien nicht Gegenstand einer Debatte sein sollten". Passiert das doch, wie es das heute immer öfter tut, ist die Folge eine defensive Haltung, in der kategorisch abgelehnt wird, was an Kritik gegenüber den eigenen Privilegien geäußert wird.

"Schmerzvoll und anstrengend"

Seine eigenen Denkweisen und die Strukturen um einen herum zu hinterfragen, sei eben "schmerzvoll und anstrengend", das gesteht der Autor seinen lernwilligen Lesern zu. Doch wie schmerzvoll soll es wirklich sein, zum Beispiel die eigene Sprache auf diskriminierende Begriff zu durchsuchen, im Gegensatz zu dem, was "People of Color" tagtäglich an realer Ausgrenzung durch eben jene Sprache erfahren müssen?


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Mohamed Amjahids Buch liefert eine verständliche Anleitung für alle jene, die sich selbst in ihren Denkweisen hinterfragen wollen. Dass er dabei mit einer voraussetzungsreichen Sprache inklusive vieler Begrifflichkeiten arbeitet, die der anglo-amerikanische Sprachraum hervorgebracht hat (in dem die antirassistische Debatte deutlich weiter fortgeschritten ist als hierzulande) darf dabei selbst für Diskurs-Neulinge keine Ausrede sein: Der Autor meint es gut mit uns und vor allem ernst mit seinem Bildungsauftrag und hat nebst weiteren Literaturempfehlungen ein umfangreiches Glossar der zentrale Begriffe angefügt.

Und damit der Weg des (Achtung, nicht angegriffen fühlen) kartoffeldeutschen Lesers zur alliierten "Süßkartoffel" ein bisschen leichter wird, endet "Der weiße Fleck" mit 50 konkreten Handlungsempfehlungen. Die sind eine "Handreichung", für all jene, die nach dem Lesen von Amjahids Buchs etwas verändern wollen an den rassistischen Ungerechtigkeiten unserer Gemeinschaft - und so überzeugend, wie er die komplexen Fragen stellt und beantwortet, sollten das eigentlich alle sein.