Musik bleibt weiter Sache des Menschen
22.02.2019, 19:06 UhrLetzte Woche war Carlos Manuel Felix Moedas zu Gast im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Es ist natürlich grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, dass der amtierende EUKommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation seinen deutschen Fachkollegen einen Besuch abstattet. Doch der 48-jährige Portugiese nutzte seinen Berliner Auftritt für weit mehr als eine reine Höflichkeitsvisite.
Der gelernte Bauingenieur und Ökonom schrieb den Bundestagsabgeordneten rhetorisch vehement ins Stammbuch: Was bei der "Erfindung" des Internets passiert sei, dürfe sich beim Thema Künstliche Intelligenz nicht wiederholen. Was der Sozialdemokrat damit meinte? Nun, die technologische Grundlagenforschung für das Internet erbrachten einst europäische Forschungsprojekte. Den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Nutzanwendung kosten allerdings amerikanische Marktriesen wie Google, Amazon oder Facebook aus. "Das darf nicht noch einmal passieren", unterstrich Carlos Moedas im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, dem wissenschaftlichen Dienstleistungszentrum des Deutschen Bundestags.
Szenenwechsel: Anfang Februar in London. Im vornehmen Stadtteil Belgravia ist in der Cadogan Hall, einer früheren Kirche, die heute das Royal Philharmonic Orchestra beherbergt, die Vollendung der "Unvollendeten" von Franz Schubert angekündigt. Der Prozessor eines chinesischen Smartphones habe die beiden fehlenden Sinfoniesätze "ergänzt", heißt es. Und diese Fassung soll vom Orchester nun "uraufgeführt" werden. Der amerikanische Komponist und Produzent Lucas Cantor hatte dafür das eingesetzte Huawei-Smartphone mit Schubert-Skizzen gefüttert.
Von zweifelhafter Natur
Nicht, dass es nicht schon zuvor etliche Versuche gegeben hätte, die beiden überlieferten Sätze der h-moll-Sinfonie um ihre möglichen Schwestern zu ergänzen. Zuletzt hatte es der Musikwissenschaftler Benjamin-Gunnar Cohrs unternommen, aus den spärlich tradierten Original-Entwürfen für den dritten Satz einen ganzen zu formen, und für den fehlenden vierten Satz einfach die Zwischenaktmusik aus der Schauspielmusik zu "Rosamunde" — natürlich ebenfalls von Franz Schubert — verwendet.
Schenkt man dem Urteil von Kritikern Glauben, war das musikalische Ergebnis in London von eher zweifelhafter Natur. So urteilte Manuel Brug in der Welt: "Hier kann man nun exakt hören, was das Huawei-Handy und die KI seriöser Musikwissenschaft entgegenzusetzen haben. Nämlich gar nichts. Höchstens ein kurioses Mash-Up allererster Güte. (. . .) Immerhin wurde deutlich: Künstliche Intelligenz kann (noch) nicht orchestrieren, in musikalischen Bögen und sinfonischer, durch Harmonie, Rhythmus, Dynamik, Klangfarbe betriebener Themenverarbeitung denken. Bis jetzt spart sie höchstens Zeit, so wie auch ein Notenschreibprogramm."
Genau diese beiden Qualitäten von KI, die Schnelligkeit in der Verknüpfung und Abgleichung von Noten, machen sich auch zwei Musikprojekte aus der Region zunutze.
Da gibt es zum einen das Online-Portal "AccompaMe", das aus einem Forschungsprojekt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erwachsen ist. Und dann arbeitet Sebastian Trump im Nürnberger "Leonardo", dem gemeinsamen Zentrum für Kreativität und Innovation der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm, der Musikhochschule und der Kunstakademie, daran, wie sich Algorithmen und Datenstrukturen auf ästhetische Prozesse auswirken.
Digitale Klangforschung
Trump ist künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter der Musikhochschule und auch Dozent an der Ohm-Hochschule, also ein ideal vernetzter Klangforscher. Der 34-Jährige beschäftigt sich mit dem interdisziplinären Umfeld von artistic research und forscht an Schnittstellen zwischen Technologie und Performance. Unter artistic research versteht man eine zeitgenössische Wissenschaftstheorie, die künstlerische Verfahrensweisen als diskursive Prozesse begreift, die, analog zu den Methoden der etablierten Wissenschaften, Erkenntnis erzeugen.
Der gelernte Jazz-Saxofonist mit dem Künstlernamen "Bastus Trump" hatte sich schon in seinem Studium auf Live-Elektronik spezialisiert. Vor acht Jahren schloss der Schwabacher dann den Masterstudiengang Sound Studies an der Universität der Künste in Berlin mit der Entwicklung eines elektronischen Percussionsinstruments für Touchscreens ab.
Wohin die Reise genau geht, vermag er natürlich auch nicht zu sagen. Aber ihn treibt die Frage an: Sind Computer irgendwann in der Lage, künstlerisch tätig zu sein? "Da wird es große Mischformen geben, aber Algorithmen werden sicher Teil unserer ästhetischen Prozesse, Empfindungen und Wahrnehmungen werden", ist sich Trump sicher.
Schaffen also PCs künftig Musiker, seien sie Interpreten oder Komponisten, gänzlich ab? "Da bin ich ganz entspannt. Das menschliche Moment beim Musizieren wird unverzichtbar bleiben, aber die digitalen Hilfen werden stärker werden."
Vernetzung durch "AccompaMe"
Mit dem Stichwort "Digitale Hilfe" wären wir dann beim Online-Portal "AccompaMe", das sich als weltweit nutzbares Forum für Playbacks und Kompositionen für Klassik, Musicals, Jazz, Blues oder andere Genres versteht. Der Informatiker Gabriel Gomez baut das Portal zusammen mit einigen Kollegen derzeit auf und fungiert als einer ihrer Geschäftsführer. Nutzer können dort Instrumentalbegleitungen streamen oder herunterladen, um ein Stück zu erlernen oder sich begleiten lassen. Komponisten können aber auch eigene Werke hinterlegen, um sie zu verbreiten.
"AccompaMe" ist also eine Plattform für Musikbegleitungen, Einzelstimmen und Arrangements, bei der professionelle Musiker und gute Hobby-Musiker Stücke als Audiodatei oder Pdf-Noten hochladen und zum Verkauf anbieten können. Von Musikern können sie dann entsprechend erworben werden. Und das rechtlich abgesichert und von der GEMA begleitet.
"Gute Künstliche Intelligenz braucht sehr, sehr viele Daten", betont Gomez, der als Freizeitmusiker Erfahrungen in Chorgesang hat. Und so ist es das Ziel von "AccompaMe", möglichst viele Kompositionen und Bearbeitungen zu erfassen. Das wird auch wichtig für die Plagiatsforschung werden: Künftig wird sich durch einen Abgleich der Daten schneller ermitteln lassen, wer von wem abgeschrieben hat und damit die Autorenrechte anderer verletzt.
"Von der Künstlichen Intelligenz erhoffen wir uns aber auch, dass sie automatische Qualitätssteigerung ermöglicht und zum Beispiel Fehler in harmonischen Bezügen erkennt", erläutert Gomez.
Es ist also zu kurz gesprungen, von der KI nur die Ergänzung berühmter Musik-Torsi wie Mozarts "Requiem", Bruckners neunter oder Mahlers zehnter Sinfonie zu erwarten. Ihr großes Potenzial in der Musik liegt im Notenvergleich und im Sampeln neuer Klangmöglichkeiten.
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