Nichts als Gespenster: Neues Buch von Daniel Kehlmann

07.11.2016, 13:42 Uhr
Autor Daniel Kehlmann veröffentlicht sein neue Erzählung "Du hättest gehen sollen".

© Stefan Hippel Autor Daniel Kehlmann veröffentlicht sein neue Erzählung "Du hättest gehen sollen".

Kurzgeschichten haben es in Deutschland nicht leicht. Woran das liegt? Darüber haben sich schlaue Verlagsmenschen und Literaturkritiker bereits die Köpfe zerbrochen - eine Akzeptanz für die kleine litarische Form wie in Südamerika oder den Vereinigten Staaten gibt es nicht.

So wundert es nicht, dass Sigrid Löffler, Literaturkritikerin, bekannt aus dem alten literarischen Quartett, mit dem schmalen Buch von Kehlmann nichts anfangen kann: "Die Spiegel-Metapher ist vom vielen Gebrauch schon ganz ausgelaugt, die Einfälle sind schwächlich, der Plot überzeugt nicht, die Figuren sind leblos, ganz besonders die Ehefrau des Helden, eine 'schöne, berühmte, rätselhafte Schauspielerin', die auch noch 'einen Abschluss in Deutscher und Klassischer Philologie hat', ohne dadurch an Plastizität zu gewinnen." Das schrieb sie über Kehlmanns Buch beim Deutschlandradio Kultur – und verkennt damit die Klasse dieser Erzählung.

Kehlmann hat "Du hättest gehen sollen" in der Tradition des Magischen Realismus und der Horrorliteratur geschrieben, hier steht Horacio Quiroga neben Shirley Jackson, Roberto Bolaño neben Stephen King. Wobei es unfair ist, diese großen Namen über dieses kleine Buch zu hängen – es ist trotz alledem ein Werk des österreichisch-deutschen Autors.

Nichts als Gespenster: Neues Buch von Daniel Kehlmann

© Rowohlt/PR

Ein Drehbuchautor hadert hier mit sich selbst, zieht mit seiner Frau und seiner Tochter in die Einöde eines Ferienhauses in den Bergen. Das nächste Dorf besteht nur aus einer Straße und einem Geschäft. "Es ist kein schönes Dorf. Die Häuser sind niedrig und stehen wie geduckt." Schnell merkt der Autor, dass im Haus selbst etwas nicht stimmt, dass sich Wasserhähne verschieben, Fotos auftauchen und wieder verschwinden. In der Scheibe spiegelt sich in der Nacht mehr als einmal das Zimmer, doch ohne den Betrachter. Die rechten Winkel passen nicht zusammen, ein paar Grad fehlen beim Vermessen immer. Dinge, die der Verstand nicht greifen kann. Gestalten tauchen auf, schauen, sind einfach da.

Kehlmann zieht sich auf die Erzählsituation eines Notizbuchs zurück, der Leser hält es mit "Du hättest gehen sollen" in den Händen. Versatzstücke eines Drehbuchs tauchen auf, dazwischen Tagebucheinträge und Bemerkungen des Erzählers. Und eben immer wieder Warnungen, die weder Leser noch Erzähler selbst verstehen können.


Hier gibt es eine Leseprobe zu "Du hättest gehen sollen".

Was stimmt: Kehlmanns Figuren bleiben dieses Mal ein wenig schwächlich, blass. Das braucht diese Geschichte jedoch. Ihre Umrisse flirren nur in der dunklen Atmosphäre, die sich mit jeder Seite mehr über diese Erzählung legt. Der Leser soll in die Gedanken des Erzählers abtauchen, sich in die gleiche Verlorenheit begeben. Bei so viel Egozentrik bleibt da wenig Platz für andere Charakterisierungen.

Dazu ist das Buch keine Metapher, keine Allegorie. Der Intepretationswerkzeugkasten greift hier einfach nicht. "Handlung ist nicht etwas, das von außen zu den Komponenten Stimme, Stil, Figuren, Atmosphäre hinzutritt; sie ist die Substanz der Erzählung, ihr Stoff und ihre Bewegung, zugleich ich Äußeres und Innerstes", schrieb Kehlmann einst selbst dazu. Es gibt hier kein Verstehen, keine genauen Zuordnungen. Wer ist hier der Erzähler? Warum finden wir dieses Buch in unseren Händen? Alles ein Spiel mit Fakt und Fiktion. Kehlmann findet dafür eine einfache, alltägliche Sprache, die wunderbar passt. Letztlich gibt es hier nur den Albtraum, der sich in dieser Erzählung entfaltet. Und darüber hinaus. Schauerliteratur für die dunkelsten Nächte.

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