Operetten-Spaß am Staatstheater: Warum der "Vetter aus Dingsda" jetzt gut tut
20.4.2021, 11:16 UhrEs gibt ein großes Theaterpublikum, das Ohrwürmer mag. Ohrwürmer kriechen hauptsächlich aus Operetten und Musicals ins Gehör – und beide sind Gattungen aus Krisenzeiten und gegen Trübsal. Deswegen stehen Operetten in der Corona-Erstarrung auf dem Spielplan des Nürnberger Staatstheaters.
Am 27. November 2020 sollte „Der Vetter aus Dingsda“ im Opernhaus Premiere haben, Eduard Künnekes wirrer aber schäumender Auftakt zu den „Roaring Twenties“ aus dem Jahr 1921. Die Produktion war fertig geprobt. Da schloss der zweite Lockdown den Eisernen Vorhang. Am Sonntag um 17 Uhr hob er sich wenigstens vor einer digitalen Aufführung. Ein erbärmlicher Ersatz.
Batavia. So hieß Indonesien zu kolonialen Zeiten. Batavia bedeutet Fremde, Utopie, steht womöglich für unseren taumelnden Zustand in der Pandemie. Von Batavia träumt Julia, weil dort ihre Kindheitsliebe Roderich abgeblieben ist, dem sie seit sieben Jahren unverbrüchlich die Treue hält.
„Sieben Jahre war ich in Batavia“ singt der vermeintliche Roderich, der plötzlich wieder in der Handlung des handgestricken Plots von Herman Haller und Fritz Oliven auftaucht. Ein ganz dicker Ohrwurm, musikalisch auch noch zur Ensemblenummer geweitet.
Auf meinem Laptop-Display liegt Batavia irgendwo am Strand. Regisseurin Sonja Nemirova und Bühnenbildnerin Pavlina Eusterhus lassen Liegestühle auf die Nürnberger Opernbühne stellen. Dahinter gleist die Sonne als Projektion. Links steht als gleichbleibender Szenenrahmen eine Küchenzeile (es geht viel ums Essen und Trinken). Rechts glänzt das kleine Plastik-Treibhäuschen samt Mond-Lampion mit Smiley-Gesicht, in dem Julia viel auf ihrem Handy klickt.
Operette funktioniert wohl nur noch – will man sie nicht mit Pomp bedienen, wie inzwischen an zahlreichen Busreise-Zielen – als postmodernes Zitat-Spiel. Genau darauf legt es Sonja Nemirova mit Gewinn an. Die Bühne ist mal Stimmungs-Bild, mal Projektionsfläche. Es gibt ein paar Denk-Anstößchen. Vielleicht ist das Treibhaus eine Metapher für unsere epidemischen Isolations-Gefühle. Als Julia ihrem Traumprinzen live begegnet und er ein bisschen skrupulös davon singt, dass das Kindchen, doch nicht gar so viel denken solle (ein nächster Ohrwurm), flüchtet sie sich lieber in Handy-Illusionen als die Realität zu akzeptieren. Dann wird das Handy entsorgt.
Aber diese Operette ist nun mal ein Produkt des Showbusiness, ein Song-Bukett für gute Laune, ein Handlungsknoten für Lösungen im Happy End. Und das lassen Regie und Bühne in Nürnberg mit buntem Augenzwinkern zu. Mein Display lässt mich ahnen, dass da ein vergnügtes Ensemble seinen Spaß hat.
Taras Konoshchenko und Franziska Kern als Julias „Onkel und Tante“ (der nächste Ohrwurm) führen bombastisches Operetten-Timbre vor. Paula Meisinger gibt präsent und ohne Übertreibung das Dienstmädchen, das zugleich Julias Freundin ist. John Pumphrey schwellt dem wahren Roderich eine dicke Buffobrust. Und Hans Kittelmann als gar nicht schräger Verehrer der Hauptperson (dazwischen auch Animateur der Strandgesellschaft), tut einem schließlich fast leid, weil er ohne erotisches Endglück auskommen muss.
Mit Schmelz und Schmiss.
Andromahi Raptis singt unangestrengt überzeugend Julia sowohl als Elfe wie als leicht autistisches Medienopfer. Und Martin Platz als verkannter Fremder (ohne Verwechslung geht es in der Operette nicht) überstrahlt alle mit einer darstellerischen Natürlichkeit und stimmlichen Leichtigkeit, als wäre die Traumfabrik ein ganz realer Raum.
Über die Leistung von Lutz van Veer am Pult der Philharmoniker weigere ich mich, etwas zu sagen. Das verbietet die digitale Distanz. Ich kann nur vermuten, dass er sowohl Schmelz wie Schmiss von Künnekes Melodien in Schwung versetzt. Mit diesem Schwung hat das Personal auf Bühne und Bildschirm jedenfalls agiert. Und wenn es die Gnade des Virus je zulassen sollte, will ich diese Aktion unbedingt noch einmal lebendig im Theater erleben.
Dann auch wieder mit einem analogen Ticket in der Hand. Denn die virtuelle Daten-Fummelei sogar für den Eintritt in den YouTube-Stream zum Nulltarif (man übt am Staatstheater für digitale Bezahlsysteme) ist doch ziemlich mühsam. Aber wir alle gehen ja nach Batavia, wie es zum Finale heißt. In eine positive Utopie.
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