Paradies-Beschwörung
26.10.2015, 19:29 UhrDer wichtigste Programmpunkt war das „Requiem for the Earth“. Das war als „deutsche Erstaufführung“ angekündigt, ist zudem wohl das erste Requiem, das je in China komponiert wurde. Der Anlass war 2008 schlimm genug: 80 000 Tote, 5,8 Millionen Obdachlose durch ein Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan. Ein vierteiliges Requiem hat einer der führenden chinesischen Komponisten, Guan Xia, dazu geschrieben, drei Teile davon wurden jetzt in Nürnberg aufgeführt: nach der Uraufführung 2013, der CD-Einspielung unter Michel Plasson und dem gemeinsamen Konzert im Mai.
Live waren jetzt rund 170 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, das Orchester der Nürnberger Symphoniker mit einer Menge Schlagwerk, unten im Parkett verfolgte der Komponist, wie sein Kollege En Shao diese Mischung aus westlicher und fernöstlicher Musik dirigierte.
Und so fing der 1. Satz seines Requiems, „Gazing at the Stars“ in den Klangfarben von Gustav Mahler an, mit einer stillen Trauerweise, als wär’s das „Lied von der Erde“. Und das soll dieses Requiem ja auch sein: angesichts der Zerstörung ein tröstlicher Blick in den Sternenhimmel. Dann wird noch einmal die Katastrophe von Feuer und Sturm beschworen, schließlich der „Flügelschlag der Engel“. Das alles in einer Tonsprache, die das gebildete chinesische Publikum inzwischen versteht, liebt und von der es sich berühren lässt.
Große Emotionen
Die Symphoniker breiteten den elegischen Klangteppich mit großem emotionalen Effekt aus, die chinesische Profi-Verstärkung tat den intensiven Chorpartien gut, mehr und mehr bekam die Partitur „chinesische“ Züge wie in Puccinis „Turandot“. Da hatte En Shao keine Mühe, zu den Versen von Liu Lin („Das Herz zittert im Sternenhimmel“) geradezu ehern klingende Chorstimmen zu mobilisieren.
Authentisch chinesisch war in dieser romantisch strömenden Musik der solistische Einsatz der Qiang-Flöte. Töne der Trauer? Oder nur eine folkloristische Zutat? „Wir werden ein schönes Paradies haben“, singen alle angesichts des Erdbeben-Desasters, die Flöten zwitschern, und im Applaus finden sich Ost und West zusammen. Für Guan Xia wird es nicht der letzte Applaus in Nürnberg sein. Die Symphoniker spielen 2016 eine CD mit seinen Werken ein, in zwei Jahren wird seine 2. Symphonie in einem Konzert aufgeführt.
Die Fortsetzung bildete Carl Orffs „Carmina burana“, die Gordian Teupke in rhythmisch scharfen Konturen, mit temperamentvoll-präzisem Einsatz dirigierte. Die chinesischen Solisten bekamen Verstärkung unter anderem durch den jungen Chor der Nürnberger Musikschule: vielseitiger, polyglotter hätte das Konzert im Zeichen der Glücksgöttin Fortuna nicht sein können – mit ungewohnt bunt gemischtem Publikum war es ein prächtiges Chorereignis.
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