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Peter Handke, Daniel Kehlmann, Monika Maron: Das sind unsere Buchtipps für den November 2023
13 Bilder 30.11.2023, 05:00 UhrNein, er hat nicht "Metropolis" gedreht, für den ihn alle loben, und auch nicht diesen berühmten Vampirfilm, nämlich "Nosferatu"! Daniel Kehlmann spielt sehr schön damit, wie Georg Wilhelm Pabst ("Die Büchse der Pandora") als Filmregisseur immer wieder mit den Größen Fritz Lang oder Murnau verwechselt wurde, zumal im amerikanischen Exil. Aber dann kehrte er doch ins Dritte Reich zurück, und darum geht es in "Lichtspiel", Kehlmanns neuem Künstler-Roman. Wie weit verkauft sich einer, um zu überleben, wo beginnt die Kollaboration, der Sündenfall? Ein heiter-ironischer Roman über das Böse um uns und in uns: Unterhaltung eben mit Haltung. (Rowohlt, 26 Euro) Wolf Ebersberger © Rowohlt; tfosseli/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Frisch aus dem Gefängnis entlassen, fährt Felix Mordaunt zum Haus seiner Kindheit. Dort nehmen ihn die eigenwilligen neuen Besitzer des Hauses auf. Ein Kammerspiel entsteht, bei dem die Frage ist: Was ist eigentlich Realität? John Banville ist einer der besten zeitgenössischen Autoren Irlands. Im intelligenten Roman "Die Singularitäten", der vor literarischen Anspielungen nur so strotzt, beweist er wieder, dass er ein Meister seines Fachs ist - manchmal will er seine Intelligenz nur etwas zu sehr zeigen. Wer Banville nicht kennt, sollte eher mit einem anderen Buch starten, denn es macht mehr Spaß, wenn man die Charaktere schon kennt... (Kiepenheuer & Witsch, 26 Euro) Marlene Weyerer © Kiepenheuer & Witsch; Dimitris Vetsikas/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Schon eine Utopie: Wie da lauter alte Menschlein, verwitwet oder verlassen, zusammenkommen und zusammenleben wollen, im historischen, aber frisch renovierten Gutshof in Mecklenburg, nur eine Stunde von Berlin entfernt. "Das Haus", das sich Monika Maron für ihren neuen Roman ausgedacht hat, ist ein geerbtes Schloss für die Einsamen und auch ihr Alter Ego, Autorin Eva - die stolze Raucherin, die immer erst skeptisch "Na ja" sagt -, nimmt die Einladung von Freundin Katharina an. Aber ist es nicht ein Zeichen, ein Fanal, dass am Tag des Einzugs Notre-Dame brennt? Was wird noch alles in Flammen aufgehen? Gesellschaftssatire, Katastrophenszenario und Nachdenken über die Zeit, die nicht mehr ist: ein kluges, kurzweiliges Werk. (Hoffmann & Campe, 25 Euro) Wolf Ebersberger © Hoffmann & Campe; Frank Ohlsen/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Was für ein Abschied! So wie man es in dem schmalen, autofiktionalen Büchlein "Eigentum" liest, kann das wohl nur der Österreicher Wolf Haas in Literatur gießen: Lakonisch und mit Ironie, traurig und humorvoll, distanziert und zugewandt zugleich erzählt der Brenner-Autor vom nicht eben warmen Verhältnis seines Ich-Erzählers zur dementen Mutter. Die beiden trennt viel, und doch sind sie unverbrüchlich miteinander verbunden. Dem Sohn passt es gar nicht, dass die alte Frau im Sterben liegt, denn eigentlich müsste er eine Poetik-Vorlesung vorbereiten. Doch indem er ihr in seinen Erinnerungen eine eigene Stimme und Sprache gibt, entsteht Nähe - und das berührende Porträt einer einfachen Bergbäuerin, die ihr ganzes Leben gearbeitet und gespart hat, und der doch nichts gehört. Ganz langsam wird aus dem Hadern mit der Mutter eine anrührende Würdigung. (Hanser, 22 Euro) Birgit Nüchterlein © Hanser; Silke/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Sein Reportage-Roman "Gomorrha" hat Italiens Mafia erschüttert, ihn selbst aber in ein bedrohtes Leben unter Polizeischutz gebannt. Es blieb ihm nur die Flucht ins Ausland. Nun hat der Autor Roberto Saviano seine Geschichte dem israelischen Comic-Zeicher Asaf Hanuka anvertraut und der hat sie in die atemberaubende, klaustrophobische und assoziationsreiche Graphic Novel "I'm Still Alive" verwandelt. Trotzig. Mutig. Mutmachend. (Cross x Cult Verlag, 30 Euro) Herbert Heinzelmann © CrossxCult; Kira/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Der wichtigste, der wehste Satz fällt erst ganz zum Schluss: "Hans ist tot." Aber Gregor, sein älterer Bruder, für eine Woche wieder daheim aus der Ferne, bringt es einfach nicht fertig, ihn den Eltern und der Schwester, die zur Taufe des Neffen geladen hat, gegenüber auszusprechen. Den Hans hatten sie doch viel lieber als ihn! "Die Ballade des letztes Gastes", das neue Buch von Peter Handke, zeigt den Autor in einsamer Hochform: Jeder Satz ein rhetorischer Ritt durchs Leben, das sich in Wald und Weiher neu erden muss - und auch in den bis spät in die Nacht aufgesuchten Gaststätten Sitzfleisch beweisen! (Suhrkamp, 24 Euro) Wolf Ebersberger © Suhrkamp; Christoph Schütz/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Seit ihrer Kindheit befindet Louise sich in einer Zwischenwelt. Sie hört zu schlecht, um die Hörenden wirklich zu verstehen, zu gut, um zu den Gehörlosen zu gehören. Die Leerstellen, die sich dadurch in Gesprächen ergeben, füllt sie mit Fantasie. Als ihr Gehör plötzlich noch schlechter wird, droht sie abzudriften, den Halt zu verlieren. Und muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen. Adèle Rosenfeld ist selbst schwerhörig und nimmt die Leser in "Quallen haben keine Ohren" kunstvoll mit in ihre Welt. Manchmal etwas abgedreht, aber immer interessant und poetisch, zieht einen dieser ungewöhnliche Roman in seinen Sog. (Suhrkamp, 23 Euro) Marlene Weyerer © Suhrkamp; Peggy und Marco Lachmann-Anke/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Ob ein Leichenfund beim Pilzesuchen, die mysteriöse Giftmischerin Hekate, ein Blick auf Familienfotos oder auch Masturbation im Kino: Der Bogen des neuen Erzählbands von Frank Witzel ist weit gespannt. Und wie immer gelingt es dem Deutschen-Buchpreis-Gewinner in "Die fernen Orte des Versagens" wieder "penetrant tief reinzubohren". Da bleibt nichts an der Oberfläche, da geht es wenig um Handlung, da verschwimmen die Grenzen zwischen Innen und Außen. Wer also gern zwischen den Zeilen liest und auch vor heiklen Passagen nicht zurückschreckt, wird daran Gefallen finden! (Matthes & Seitz, 25 Euro) Anja Weigmann © Matthes & Seitz; Anja/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Man kann Gwendolyn Brooks als Pionierin bezeichnen. Die US-Dichterin aus Chicago war die erste schwarze Autorin, die den Pulitzer Prize erhielt: 1950 für ihren Band "Annie Allen". Die Nähe zur Lyrik, zum bewusst erzählten Augenblick, merkt man auch bei ihrem einzigen Roman "Maud Martha", der 1953 erschien und jetzt zum Glück auch auf Deutsch vorliegt. Es sind ganz einfache, aber doch ergreifende Szenen aus dem Leben einer Afro-Amerikanerin: vom Mädchen, das Löwenzahn liebt und die engelhafte kleine Schwester, bis zur nicht unbedingt glücklichen Ehefrau und Mutter, die es nach Anderem verlangt als einer viel zu engen Wohnküche. Auch der alltägliche Rassismus im Kino oder beim Einkaufen ist, sehr geschickt geschildert, eine Konstante. (Manesse, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Manesse; Catkin/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Lange haben wir darauf warten müssen: Michael Krüger, der legendäre Verleger und Freund und Wegbegleiter so vieler internationaler Poeten und Schriftsteller, der in seinem Hanser-Verlag Literaturnobelpreisträger sammelte wie andere am Strand Muscheln, legt endlich einen Teil seiner Erinnerungen an alte literarische Zeiten vor. "Verabredung mit Dichtern" versammelt Begegnungen mit den namhaftesten Künstlern der jüngeren Vergangenheit, die Krüger verehrte und verlegte und die ihn achteten wie einen von ihnen. Krüger plaudert klug von seinen Anfängen, über seinen Enthusiasmus, seine Liebe zum Wort und zum schönen Buch, seine eigene und viel beachtete lyrische Arbeit. "Glück gehabt", meint er bescheiden, wenn er an sein reiches Leben zurückdenkt. "Glück gehabt", sagen wir Leser, die wir nun daran teilhaben dürfen. (Suhrkamp, 30 Euro) Bernd Noack Michael Krüger liest am 21. November, 20 Uhr, im Nürnberger Literaturhaus. © Suhrkamp; 12138562/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Es könnte noch Haie geben, so rechnet Katherine Rundell vor, die bereits zur Zeit von Shakespeare gelebt haben, also vor 400 Jahren! Werden diese Grönlandhaie, langsame dumpfe Riesen ohne viel Sexappeal, nicht gar bis zu 600? Erst mit 150, das stelle man sich vor, können die Weibchen überhaupt gebären... Und das ist nur eine der biologischen Überraschungen, die die britische Autorin in ihrem neuen Buch "Warum die Giraffe nicht in Ohnmacht fällt" bereithält! Von Wombats und Seepferdchen kann auch der Mensch noch was lernen... (Diogenes, 25 Euro) Wolf Ebersberger © Diogenes; Kurt Bouda/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Ganz schlimm: Goethe kehrt in der Kutsche nach Weimar zurück und kann nicht mehr sitzen. Er hat Hämorrhoiden und auch die Ringelblumensalbe hilft nichts. Qualen! So inkommod beginnt Charles Lewinsky seine Geschichte "Rauch und Schall", in der er aus Verbürgtem und Phantasie eine Episode aus dem Leben des hochverehrten Dichters zusammenspinnt, die vergnüglich zu lesen ist und nicht immer was mit der Wahrheit zu tun haben muss. Goethe tut aber nicht nur der Hintern weh, er hat auch eine Schreibblockade. Und was das wiederum für die deutsche Literatur bedeutet, nein: bedeuten könnte, denn wir befinden uns im Reich der blühenden Erfindungen, ist gar nicht auszudenken. Nur zu schreiben, und der Schweizer Autor tut das mit gewohnt großer Lust an absurden Ideen und mit schelmischem Augenzwinkern. Ein Buch über das Schaffen und die Krise, darüber, dass auch ganz Große mal ein kleines Glück brauchen. (Diogenes, 25 Euro) Bernd Noack © Diogenes; lapping/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid
Nichts selbstverständlicher, als auf einen Schalter zu drücken und das Licht geht an. Doch was war das damals für eine Revolution im ausgehenden 19. Jahrhundert, da die Elektrizität die Welt eroberte! Wahrhaft erhellend ist Alexander Bartls Rückblick in eine Zeit, in der die Gesellschaft unter Strom geriet: "Der elektrische Traum" berichtet von den Hoffnungen und den Befürchtungen, von der Begeisterung und den Warnungen, die den Aufstieg der Elektrizität begleiteten. Noch in der Kaiserzeit waren die Ingenieure davon überzeugt, dass diese Erfindung niemals das Gaslicht verdrängen werde. Als 1881 dann aber das Wiener Ringtheater brannte und Hunderte in den Tod riss, war klar, dass die alte gefährliche Art der Beleuchtung ausgedient hatte. Bartl erzählt unterhaltsam und kenntnisreich von den Fortschrittsjahren, die zunächst niemand wahr haben wollte, von Entwicklungen, ohne die es heute noch bei uns zappenduster wäre. (HarperCollins, 24 Euro) Bernd Noack © Harper Collins; yu tee/pixabay/LizenzCC0; Montage: Sabine Schmid