Reinhard Mey: Lieder über Liebe, Schnaps und Tod
4.6.2020, 20:29 UhrDie 16 Stücke seines neuen Albums "Das Haus an der Ampel" bleiben dieser Tradition unbedingt treu. Reinhard Meys Neugierde auf das Leben und die Poesie des Dialogs wirken darin ungebrochen juvenil. Seine Stimme klingt altersbedingt gelegentlich brüchig. Sein Duktus aber offenbart auch mit 77 Jahren noch jenen Enthusiasmus, mit dem er sich vor gefühlten Ewigkeiten ein eigenes Idiom schuf.
Es gibt Liedermacher und es gibt Reinhard Mey, der im Brückenbau zwischen François Villons und George Brassens seine eigene, literarisch anspruchsvolle Liedform fand. Um einen weiteren Grund für die wohlverdiente Aufmerksamkeit, die seinen Liedern zuteil wird, aufspüren zu können, muss man weit zurückblicken. Ins Jahr 1967, als Mey mit der Langspielplatte "Ich wollte wie Orpheus singen" debütierte. Im gleichnamigen Titelstück sang er damals: "Ich wollte wie Orpheus singen, dem es einst gelang, Felsen zum Weinen zu bringen durch seinen Gesang. Wilde Tiere scharten sich friedlich um ihn her, wenn er über die Saiten strich, schwieg der Wind und das Meer". Heute ist längst zur Gewissheit geworden, wie programmatisch Mey seine Liedschreiberkunstkarriere damals bereits vorskizzierte.
Seine Vision, mit der deutschen Sprache etwas Neues zu kreieren, war schon seinerzeit von angenehmer Sanftmütigkeit, Erbaulichkeit und Einzigartigkeit geprägt. Mey-Stücke waren immer musikgewordene Dichtkunst, meist liebevoll, aber wenn’s das Sujet verlangte, auch bissig artikuliert.
Erstaunlich wenig Patina haben sie angesetzt. Vielleicht, weil er in jungen Jahren das Harmonieverständnis des Barockkomponisten Georg Friedrich Händel staunend aufsog. Jetzt kehrt er gedanklich zurück in "Das Haus an der Ampel", wo seine Eltern wohnten und wo für ihn vieles begann. "Ein Leben lang und ein Jahr" habe er fürs Verfassen der neuen Lieder gebraucht, meint er. Es sei ihm nie leichtgefallen, die nicht ausproduzierten Demo-Versionen seiner Stücke ins Archiv zu stellen, sagt er, weshalb er sich diesmal zu zwei Mal 16 Liedern entschlossen habe. Die zweite CD, als "Skizzenbuch" betitelt, enthält die Liedsammlung in Rohversionen, wie Mey sie auf der Bühne vortragen würde, nur von Gesang und Gitarre getragen.
Zeit und Muße
Die erste CD, "Das Album" genannt, enthält sämtliche Stücke in ausformulierter Arrangement-Form. "Es ist tatsächlich eine Aufgabe, die ich den Hörerinnen und Hörern da stelle", räumt Mey ein. "Es braucht Zeit und Muße, 32 Lieder zu hören. Das geht nicht nebenbei, es verlangt einen ruhigen Nachmittag oder Abend". Für die Produktion und Arrangements traf sich Mey einmal mehr mit seinem langjährigen, musikalischen Weggefährten Manfred Leuchter in Berlin.
In den Liedern geht es, neben den Lieben und den Mühen mittendrin, vielfach um Anfang und Ende des Lebens. Dem Tod verleiht er gleich zu Beginn der Platte, im "Hotel zum ewigen Gang der Gezeiten" eine mystische Würde, bevor er seinem Bleistift gleich im nächsten Stück eine Freundschaftsode schenkt. Dem Männerpaar "Gerhard und Frank" widmet er einen klugen, klischeefreien und leisen Folksong, voller berührender Selbstverständlichkeit und Verbeugung vor dem selbstbestimmten Leben.
Das tiefgründig-fröhliche "Menschen, die Eis essen" bricht er am Ende selbstironisch mit den Worten "Liedermacher, die Eis essen, la la la la la, können schon mal ihren Text vergessen". Was bisweilen heimelig klingt, kann bei ihm blitzschnell eine Umkehr erfahren. Und gerade deshalb ist das Gefühl der Geborgenheit, das Mey selbst einst im "Haus an der Ampel" erlebt hat, beim Zuhören kostbar.
Die Gefahr, sich inhaltlich zu wiederholen, sieht Mey nach all den vielen Karrierejahren nicht, wie er sagt. "Unsere Lieder bestehen aus drei Grundelementen: ‚Liebe, Schnaps, Tod‘, so hat es mein Freund Hannes Wader treffend beschrieben. Und aus den drei Grundfarben Rot, Grün und Blau entstehen 16,7 Millionen neue Farben."
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