Legende in Nürnberg
Schnörkellos abgeliefert: So war das Konzert von Bob Dylan in Nürnberg
16.10.2024, 14:57 UhrKommt ein Altmeister der Popkultur, dann muss etwas besonders sein: Am Eingang zur Frankenhalle werden die Besucher zuerst gebeten, ihr Handy in der Hand zu halten, um es dann, noch bevor man überhaupt im Foyer der Frankenhalle steht, eintüten zu lassen. In graue Schaumstoffbeutel mit einem Verschluss, der an die Sicherungen im Bekleidungsgeschäft erinnert - und darin bleiben die Alltagsbegleiter auch die knappen zwei Stunden, die das Konzert dauert, verschlossen. Erst direkt am Ausgang wird das Handy aus seinem zeitweiligen Verlies befreit. "Wir öffnen die Augen etwas weiter und unsere Sinne sind geschärfter, wenn wir die gewohnte Technik-Krücke verlieren", ließ das Management vorher verlauten.
Und tatsächlich ist es ein zuerst ein merkwürdiges Gefühl, dieses Treffen mit der Legende Bob Dylan nicht irgendwie dokumentieren zu können. Doch schnell vergisst man das mobile Abgeschnittensein - und taucht ein in einen Kosmos der Erinnerungen, die das Gehirn liefert, wenn ein wegbegleitender Song intoniert wird.
Dylan und seine vierköpfige Band beginnen pünktlich, schnörkellos, ohne Begrüßung oder großem Auftritt der Legende, die wohl jeder Konsument der Popmusik kennt, der seit der 60ern auf die Welt gekommen ist. Dylan und Band starten, zuerst nimmt man den Songwriter und Lyriker optisch gar nicht wirklich war. Denn er sitzt fast komplett verdeckt am Klavier - sowas würden eine Taylor Swift oder Adele niemals machen, sie lassen sich ja in der Regel groß inszeniert auf der Bühne blicken.
Erst rund vier, fünf Songs später steht er auf und läuft einige Schritte vor an den Bühnenrand. Die meiste Zeit wird er hinter dem großen Flügel verbringen, ab und an stehend, während eine Hand die schwarz-weißen Tasten drückt und die andere Hand die weltbekannte Mundharmonika hält. Läuft der drahtige Mann vor, wirkt es leicht gebückt, schnell ist das Klavier wieder eine willkommene Stütze. Ok, der Mann ist 83 Jahre alt und ein Konzert für Musiker ein Kraftakt.
Auch die Bühne und die Show selbst kommen ohne große Gesten und Effekte aus, hier wird Musik geliefert, kein Heldentum inszeniert. Dylan spricht weder wirklich mit seinem Publikum in der Frankenhalle - außer einem kurzen "Love ya" oder "Thank you". Die fünf Musiker stehen vor einem grauen Vorhang, um sie herum ein paar Lampen, die in schwedischen Wohnzimmern stehen könnten. Alles ist reduziert, damit nichts von der Performance ablenkt. Tamtam ist etwas für andere.
Knapp zwei Stunden liefert die Band einen Ritt durch das jahrzehntelange Schaffen Dylans. Die Radiohits oder Mega-Kassenschlager wie "Blowin' in the Wind", "Knockin' on Heaven's Door" oder "Like a rolling stone" spielt er nicht, dafür aber gereicht sein melancholisches und eher still-wütendes "It's all over now, Baby Blue" zur positiven und fast schon treibenden Hymne - völlig neu interpretiert. Und das ist sinnbildlich für diesen Abend mit der Legende, den die quasi voll belegte Frankenhalle erlebt: Vieles erinnert eher an eine Jam-Session, so als würde man High-End-Artists beim Bauen von Soundcollagen beiwohnen.
Und irgendwie wirkt es ein wenig so, als würde Bob Dylan, der 83-Jährige, das überhöhte Bild, die Erwartungen, demontieren wollen. Er haut in die Tasten und pustet mächtige Dickichte mit seiner Mundharmonika in die Halle, manchmal auch ein wenig atonal. Und doch feiert er sich und sein Schaffen mit jedem Klang. Seine Stimme klingt auch in seinem hohen Alter wie eh und je - und wie es bei Dylan eben so ist: Hier wird Lyrik intoniert - die Klänge der Instrumente dienen als Katalysator für seinen Sprechgesang. Es klingt nach Blues, nach Surf-Rock, nach Klassik und teils nach Reggae.
Wie die gängigsten Hits erwartet man an diesem Abend auch den Protestsänger vergebens. Dafür gibt es "Every grain of sand" oder "False Prophets" und viele neue Songs: Der Altmeister macht sein Ding, wie eh und je. Und das war, wie der Titel der Tour verspricht, in "rough und rowdy ways" - alles andere als aalglatt, wie es Pop sonst verspricht. Dylan will nicht um jeden Preis gefallen, das wissen wir spätestens nach seiner verweigerten Annahme des Literaturnobelpreises im Jahr 2016. Vielleicht spielt er auch deswegen keine Zugabe und kommt nach Ende nicht noch einmal auf die Bühne, um sich noch mehr Applaus abzuholen. Strikt und irgendwie erfrischend - so wie der Abend insgesamt.
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