"Tatort" aus Berlin: Packender Hauptstadtkrimi

15.11.2015, 21:46 Uhr

© rbb/Volker Roloff

Berlin im Wandel. Weil die Nachfrage nach Wohnraum in der Spreemetropole rasant steigt, prägen Großbaustellen das aktuelle Bild der Hauptstadt. Alte, urige Siedlungen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben, verschwinden vom Erdboden. Sie weichen kühlen Wohnblocks mit Flachdach und Tiefgarage, die sich aber nicht die Alteingesessenen selbst, sondern zumeist wohlhabende Zugereiste leisten können.

In einer der Anfangsszenen von "Ätzend", dem zweiten Fall des neuen Berliner "Tatort"-Gespanns Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke), finden gerade Abrissarbeiten für so ein neuerliches Wohnsilo am Treptower Park statt. Arbeiter entfernen die letzten Überbleibsel einer Laubensiedlung. Dabei fördern sie zwei Leichen zutage. Eine - so stellt sich heraus - wurde vor Jahren in einem Faß Schwefelsäure eingelegt. Kein schöner Anblick. Der andere Tote ist per Kopfschuss regelrecht hingerichtet worden und liegt erst seit kurzem unter der Grasnarbe.

"Ätzende" Alleingänge

Schnell sind die Identitäten geklärt. Die Überbleibsel des Säuretoten gehören zu einem in Kreuzberg gemeldeten Iraner, der dort ein Dentallabor betreibt. Durch den Tod von Ferhat Merizadi kommen die Spürnasen seiner illegal in Deutschland lebenden Familie auf die Schliche. Was haben sie mit dem Tod zu tun lautet nun die Frage. Reimers, der zweite Tote, ist Kleinkrimineller und kein Unbekannter. Karow kennt ihn aus seiner Zeit beim Drogendezernat.

Pikant: Reimers kommt mit derselben Schusswaffe zu Tode, wie Karows Ex-Partner Maihack. Dessen rätselhafter Tod wirft weiter Fragen auf. Die Staatsanwaltschaft scheint etwas vertuschen zu wollen, weshalb Karow ermittlerische Alleingänge durchführt, die ihm ordentlich Ärger einbrocken. Nicht nur bei Neukollegin Rubin. Die Sololäufe und die herablassende Art ihres Partners bringen die Mutter zweier Kinder regelmäßig auf die Palme. Keine gute Grundlage für eine berufliche Zusammenarbeit.

Spannung dank horizontaler Erzählweise

Eine umso bessere Grundlage für einen guten Krimi ist die horizontale Erzählweise des Berliner "Tatort", die mit "Das Muli" beginnt und nun in "Ätzend" ihre logische Fortsetzung findet. Es ist zwar nicht zwingend notwendig, den ersten Fall gesehen zu haben, um "Ätzend" komplett zu verstehen. Schaden tut es allerdings nicht.

Karow bleibt der undurchsichtige Cop mit den eiskalten Augen, der keine Rücksicht auf Einzelschicksale nimmt, weil er das große Ganze sieht und dem man nicht so ganz über den Weg traut. Wie ein Getriebener stellt er eigene Nachforschungen an, um die wahren Gründe für Maihacks Tod herauszufinden und vor allem auch sich rehabilitieren zu können. "Ätzend" deutet an, was in den kommenden Folgen diesbezüglich noch ans Tageslicht kommen könnte und sicherlich auch wird. In diesem Zusammenhang spielt ein aufzustöberndes Handyvideo des Toten Drogendealers Erdem eine gewichtige Rolle. Ähnlich verhält es sich mit Kollegin Rubin, die sich einer privaten Großbaustelle gegenübersieht. Hier der Mann, der sich gerade getrennt hat und dort die zwei heranwachsenden Kids.

Regisseur Dror Zahavi gelingt ein sehenswerter Thriller mit bewegenden Bildern. Schwarzweißaufnahmen wechseln sich mit Farbsequenzen ab. Die Kamera hält gerne drauf und wir blicken in ausdrucksstarke Gesichter. Weil Zahavi direkt an den Vorgänger anknüpft ist man sofort mitten im Geschehen. Brutale Szenen voller Action sind dennoch - im Gegensatz zu "Das Muli" - Fehlanzeige. "Ätzend" beeindruckt hauptsächlich durch das herausragende Drehbuch, für das Stephan Wagner und Mark Monheim verantwortlich zeichnen. Erstgenannter saß übrigens bei "Das Muli" auf dem Regiestuhl.

Mit Finesse lassen die Autoren mehrere Handlungsstränge miteinander verschmelzen. Ohne Wertung beleuchten sie dabei auch das Schicksal der im Mittelpunkt stehenden iranischen Familie. Wagner/Monheim kommentieren nicht. Sie dokumentieren. Als wäre die Story nicht schon blumig genug, finden die Skriptschreiber zudem etwas Zeit, die zwei Hauptcharaktere weiter vorzustellen. Waschke und Becker rechtfertigen ihrerseits, das in sie gesteckte Vertrauen. Dass der neue Berliner "Tatort" so schwungvoll startet, ist sicher auch ein Verdienst der beiden Schauspieler. Das offene, unerwartete Ende macht ungemein Lust auf die Fortsetzung. Sie ist übrigens für den Juni kommenden Jahres angesetzt.

 

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