"Tatort" aus Bremen: Scheußlichkeiten im Offshorepark
14.06.2015, 21:40 UhrDer Bremer Umwelt-Krimi geht sofort in die Vollen. Kaum ist das Intro durchs Bild gerauscht, liegt auch schon der arme Pico mit drei Schüssen in der Brust auf der Treppe eines zum Abriss freigegebenen Hauses. Lürsen (Sabine Postel) und Partner Stedefreund (Oliver Mommsen) können nur noch den Tod des Argentiniers feststellen.
Weil von Henrik Paulsen (Helmut Zierl), dem einzigen weiteren Bewohner des Gebäudes, jede Spur fehlt, befiehlt Lürsen ihrem Kollegen, den ebenfalls im Umweltschutz aktiven Mann aus Ermangelung an anderen Tatverdächtigen zur Fahndung auszuschreiben. Stedefreund gehorcht.
Dank der Aussage von Kilian (Lucas Prisor), der mit beiden befreundet war, erfahren die Kripobeamten nun, dass Paulsen sich in der Tatnacht auf einem Windkraftrad vor der Küste aufgehalten hatte. Das monströse Ding gehört zu einem riesigen Offshorepark. Er ist den Aktivisten ein Dorn im Auge, da "Windräder Tötungsmaschinen für Zugvögel sind", weiß Kilian. Deshalb versuchen die Windkraftgegener immer wieder mit halsbrecherischen Aktionen auf diesen Umstand aufmerksam zu machen.
Alle gegen Overbeck
Mit im Visier haben sie dabei Betreiber Lars Overbeck (Thomas Heinze), einem ehemaliger Mitstreiter der renitenten Öko-Bande. Dabei wohnt in dem geleckten Unternehmer doch ein so edler Geist. Behauptet er zumindest. Schließlich will der "die Welt einfach ein bißchen besser machen", wie er Stedefreund glaubhaft zu versichern versucht. Der Kommissar scheint ihm das edle Ansinnen allerdings nur teilweise abzukaufen.
Als beide auf der wackeligen Plattform eines Windrades verdächtige Blutspuren entdecken, klicken bei Overbeck erst mal die Achter. Die Schlinge um Overbecks Hals scheint sich weiter zuzuziehen, als die Bank von dessen malader Situation Wind bekommt. Das in Schieflage geratene Unternehmen steht nämlich kurz vor der Insolvenz und ist dringend auf frisches Geld angewiesen. Wenn die Kreditanstalt nicht liefert, droht die Pleite und Terz mit der maulenden Belegschaft.
"Overbeck ist erledigt", frohlockt Kilian
Da taucht zu allem Überfluss ein pikantes Video auf, in dem zu sehen ist, wie dutzende Vögel durch die Rotorblätter der Windräder qualvoll verenden. "Overbeck ist erledigt", frohlockt Kilian. Als auch noch die von Katrin Lorenz, Paulsens Ex (Annika Blendl), geführte Umweltorganisation das in Aussicht gestellte und reichlich Kohle einbringende Ökosiegel nicht mehr ausstellen will, graben sich die Sorgenfalten auf Overbecks Stirn auf Rekordtiefe ein.
Die Geier kreisen schon in Form von Investmentbanker Berger (Rafael Stachowiak), der sich die Claims in der Nordsee nur allzu gern unter den Nagel reißen möchte. Scheinbar hat sich die ganze Welt gegen Overbeck verschworen und Lürsen und Stedefreund haben bei all dem Durcheinander, all den Verflechtungen Mühe den Durchblick zu behalten.
Guter Plot, gute Akteure
Wilfried Huismann hat ein wirklich gutes, aber auch ungemein dichtes, vielschichtiges Drehbuch verfasst, bei dem aufmerksames Dranbleiben zwingend erforderlich ist. Die von ihm und seiner Entourage entworfenen Charaktere sind bis ins Detail ausgegoren. So fährt zum Beispiel die Vorsteherin der Umweltorganisation in einer Szene stilecht im Hybridmobil vor und Umwelt-Hardliner Kilian übernachtet nicht etwa in einer modern möblierten Zweiraumwohnung, sondern im tarnfarbenen Billig-Wigwam im Lorenz'schen Garten.
Man möchte Huismann zu seinem gelungenen, an Aktualität kaum zu überbietenden Öko-Thriller fast beglückwünschen. Auch wenn vor allem zum Ende hin die ein oder andere Situation reichlich überzeichnet wirkt. Dank eines homogenen Schauspielerensembles, in dem vor allem Rafael Stachowiak als blutsaugender, durchgeknallter Hedgefondsmanager und Thomas Heinze als im Herzen guter Windparkbetreiber glänzen, spendet "Wer Wind erntet, sät Sturm" beste Fernsehunterhaltung auf einem gehobenem Niveau. Die diesmal zwar etwas blaß agierenden Kommissare seien Huismann dabei verziehen.
Ein Sternchen für die Kamera
Allein die atemberaubenden Bilder, eingefangen von Kameramann Peter Joachim Krause, sind sehenswert. So fliegt der Zuschauer nicht nur einmal in der Vogelperspektive über das Meer und schmeckt das Gefühl von Weite. Als Stedemann auf der windigen Plattform eines Windrads ein ernstes Gespräch mit Overbeck führen muss, überträgt sich Stedemanns Unbehagen dank Krauses Wackelkamera unmittelbar auf den Betrachter der Szenerie. Ähnlich verhält es sich, wenn Kilian und Overbeck Nasenstüber verteilen. Die Kamera geht mitten rein und fängt die Klopperei nicht nur am Rande ein.
Gut im Gedächtnis bleibt ebenso die tiefe, düstere Musik, die zwar vornehmlich im Hintergrund agiert, aber gemeinsam mit den eindringlichen Aufnahmen großartige Stimmungsbilder fabriziert. Das alles tröstet etwas darüber hinweg, dass in Sabine Postels Gesicht einfach nichts passieren mag. Selbst Regisseur Baxmeyer kann da nur resignierend mit den Schultern zucken. Aber was soll's. Der Bremer "Tatort" ist alles andere als schlecht.
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