Festivalauftakt in Fürth
Warum für die Oper "Orfeo" der Gluck-Festspiele früher Knaben kastriert werden mussten
17.9.2021, 14:36 Uhr
Ein „Leuchtturm“ soll diese coronabedingte Kurzfassung der Internationalen Gluck-Festspiele sein, meint der neue Intendant Michael Hofstetter: für die Metropolregion und für die Festspiele 2022. Im Stadttheater Fürth hat das Versuchs-Festival (vier Tage, sechs Konzerte) begonnen mit „Orfeo ed Euridice“, Glucks bekanntester Oper in einer konzertanten Fassung.
Damit soll der in der Oberpfalz geboren maßgebliche Opernreformer des späten 18. Jahrhunderts für „ein breites Publikum wieder neu erlebbar werden.
In Fürth gab es Heißmann und Rassau als Überraschungsfestredner. Ansonsten leben diese Festspiele von Hofstetters Netzwerk mit Berlin, Leipzig, Halle oder den neuen „Bayreuth Baroque“-Festspielen. Erste Qualität waren deshalb die Chöre und Orchester.
Für den „Orfeo“ war das Händelfestspielorchester Halle auf Parketthöhe hochgefahren worden, und Hofstetter legte mit einer vor Temperament berstenden Ouvertüre los. Auf der Bühne dann die Vokalvereinigungen Josquin des Prez und Calmus aus Leipzig - und einer der Sänger, von denen die Wiederbelebung barocker Musik heute hauptsächlich lebt: Bruno de Sá als Orfeo.
Er ist kein Countertenor, sondern ein männlicher Sopran aus Brasilien, stimmlich im Knabenstadium geblieben und jetzt noch mit einem Sopran, der zu Glucks Zeiten „mit dem kleinen Messerchen“ konserviert wurde – seit Napoleon verboten. Diesem menschenunwürdigen, lebensgefährlichen und an Leib und Psyche verstümmelte Menschen hinterlassenden Kapitel der Musikgeschichte hat sich Cecilia Bartoli mit einem Konzert- und CD-Projekt gewidmet.
Die Gluck-Festspiele haben noch so einen Sopranisten in petto: Samuel Mariño aus Venezuela, auch er inzwischen weltweit akklamiert und in Neumarkt und Lehrberg mit einer Wiederauflage des Konzerte zu erleben, das Gluck und Händel 1746 in London veranstalteten.
Gut zwanzig Jahre später brauchte man für die habsburgischen Hochzeitslustbarkeiten in Parma und für die „Feste d’Apollo“ Musik von Hofkapellmeister Gluck. Der steuerte u. a. eine Neufassung des in Wien uraufgeführten „Orfeo“ bei: mit noch waghalsigeren Sopranhöhen für den Sopran-Kastraten Giuseppe Millico.
In Fürth sang die de Sá in höchst subtiler Vollendung der Fiorituren, Triller, lyrisch-elegischen Klagen des antiken Sängers. Alles in sinnreicher Phrasierung und barocker Klangrede, sicherem Ansatz selbst höchster Soprantöne, feinstem Lamento-Piano in Arien und Rezitativen: richtig dimensioniert für solche intimen Theater wie hier in Fürth. Und in perfektem Zusammenklang mit den Chören, die als Furien auch ordentlich auftrumpfen können. Neben der Euridice von Georgina Melville sang sich der Tölzer Chorknabe Cajetan Deßloch mit stilgerechten Auftritten als Amor ins Herz des Publikums – Hofstetter ist neuerdings auch Leiter des oberbayerischen Elitechors.
Auch ohne allen barocken Theaterpomp traf die azione teatrale mit einer perfekten Lichtregie mitten ins Herz der Gluck-Verehrer. Es war eine perfekte Symbiose von historischer Aufführungspraxis und aktueller Ästhetik.
Karten unter gluck-festspiele.de
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