Wie ein geplanter "Kulturtempel" ein Dorf in Unterfranken spaltet

29.5.2021, 18:44 Uhr
Eine Simulation: So soll die Konzerthalle mit darunter liegender Tiefgarage und Restaurants vor dem Schloss aussehen.

© e-arc-tmp-20210518_135244-7.jpg, NNZ Eine Simulation: So soll die Konzerthalle mit darunter liegender Tiefgarage und Restaurants vor dem Schloss aussehen.

Hühner gackern, Gänse streiten, irgendwo bellt ein Hund: Wer über das Sträßchen nach Weißenbrunn acht Kilometer hinter Ebern gefahren ist, erlebt Idylle pur. Den 54 Dorfbewohnern tritt man sicherlich nicht zu nahe, wenn man ihren Ort tief in den Haßbergen als verschlafenes Nest bezeichnet. Doch mit der Ruhe könnte es bald vorbei sein. Ein "Kulturtempel" mit Konzerthaus für mehr als 300 Besucher soll dort entstehen. Dazu zwei Hotels mit 60 Zimmern, verbunden mit einer Standseilbahn, sowie Restaurants für 150 Gäste. Eine Nürnberger Kulturpreisträgerin will sich hier in Unterfranken ihren Traum erfüllen. Für 45 Millionen Euro. Für einen Teil der Dorfgemeinschaft ist das ein Alptraum.

Pia Praetorius, bis 2017 Kantorin in St. Egidien in Nürnberg, ist zusammen mit ihrem Mann Wolfgang Kropp die neue Schlossherrin in Weißenbrunn. 2015 hat das Paar das barocke Anwesen gekauft, das Hauptgebäude zwei Jahre lang renoviert und ab 2017 selbst bezogen. Inzwischen haben sie Schloss, Park und Barockgarten in eine Stiftung überführt.

Die Nürnberger Kulturpreisträgerin Pia Praetorius und ihre Mann Wolfgang Kropp.

Die Nürnberger Kulturpreisträgerin Pia Praetorius und ihre Mann Wolfgang Kropp. © e-arc-tmp-20210518_135527-1.jpg, NNZ

Als Musikprofi startete Praetorius bereits 2018 mit Konzerten im neuen Zuhause. "Hier im Musiksalon haben wir mit Abenden für 30 bis 40 Leute begonnen", sagt sie beim Rundgang durch die historischen Räume mit den schicken runden Designerlampen an den roten Wänden. Jetzt denkt sie größer, viel größer.

Einen Raum weiter zeigt ein Modell, wie sich das vier Hektar große Schlossareal in ein Kultur-Wellness-Hotel-Zentrum verwandeln soll. Ein Konzertsaal in Holzbauweise mit begrüntem Dach soll Platz für rund 320 Zuhörer bieten. Mit Akustik vom Feinsten: Das Konzept erstellt das Akustikbüro Kahle, das auch bei der Konzeption des – kürzlich dem Rotstift zum Opfer gefallenen – Nürnberger Konzertsaals im Einsatz war.

Das Innenleben der Halle ist mit versenkbaren Bühnen und Ebenen, mit verdunkelbaren Räumen, mit Loungebereich und Parkett so flexibel geplant, dass vom Konzert über die Theateraufführung bis zum Kinoabend und Kongress so gut wie alles darin möglich ist. Das prämierte Südtiroler Planungsbüro "bergmeisterwolf" hat nicht nur das Konzerthaus, sondern auch die Hotels mit Wellnessbereich, die Restaurants mit Außenplätzen und die Untertunnelung des Schlosshofes mit einer Tiefgarage für 130 PKW entworfen.

Die Politik begrüßt die private Millionen-Investition, die Schaffung von 60 bis 80 Arbeitsplätzen, die Praetorius und ihr Mann in Aussicht stellen, und spricht von einem die Region aufwertenden "Leuchtturm für Kultur und Tourismus". Der Stadtrat in Ebern stimmte im März 2021 dem eingereichten Bebauungsplan einstimmig zu.

So sehen die Pläne für die beiden Hotels aus, die mit einer Standseilbahn verbunden werden.

So sehen die Pläne für die beiden Hotels aus, die mit einer Standseilbahn verbunden werden. © e-arc-tmp-20210503_121334-5.jpg, NN

Der Ort ist in Aufruhr. "Ich verstehe nicht, was daran eine Aufwertung ist, wenn hier Besuchermassen einfallen. Das ist eine seltsame Ansicht von Wert", sagt Robert Dumberger, der seit drei Jahren in Weißenbrunn wohnt und lange nach solch einem Refugium der Ruhe gesucht hat. "Für eine gut situierte Klientel, die in den Metropolen ein ausreichendes Kulturangebot hat, braucht man doch nicht so ein Kleinod hier kaputt machen", sagt seine Lebensgefährtin Sonja Graven.

Von den Plänen im Schloss fühlen sie sich überfahren. Aus der Zeitung habe man erfahren, welche Dimensionen das ganze annehmen soll. "Das wird ein Fremdkörper in unserem Ort. Wir haben Angst davor", sagt ihre Nachbarin Katja Stetter. Praetorius und ihr Mann betonen, dass sie die Pläne bereits der Kritik aus der Bevölkerung angepasst hätten, etwa indem eine Tiefgarage statt oberirdischer Parkplätze entstehe.

Besorgte Weißenbrunner fürchten dennoch um ihre Ruhe, ihre Natur, ihren Dorffrieden. Der ist schon jetzt erheblich gestört. "Die Gemeinschaft ist gesprengt", sagt Stephan Stetter, der seit 25 Jahren in Weißenbrunn wohnt. Seiner Einschätzung nach sind die meisten Einwohner gegen das Projekt, trauen es sich aber nicht öffentlich zu sagen.

Hauptkritikpunkt der Gegner ist die schiere Größe des Vorhabens - architektonisch, ökologisch und logistisch. Denn das Gesicht des Dorfes wird sich massiv verändern. Der Konzertsaal, der an seiner höchsten Stelle so hoch aufragen wird wie das Schloss, wird zwangsläufig das moderne optische Zentrum des alten Örtchens. Einen "Klotz" nennt Katja Stetter das Gebäude, auf das sie von ihrem Haus aus schauen wird.

Für den Bau des Konzerthauses, das den Saal und die Gastronomie beherbergt, sowie für die unterhalb davon geplanten Künstlerzimmer und Probenräume einer Musikakademie werden alle alten Scheunen abgerissen. Sie bilden derzeit mit begrüntem Gemäuer und verwittertem Holz den gewachsenen Abschluss zum Dorf, an dessen Rand das Schlossareal steht. "Unter Denkmalschutz stehen diese Scheunen aus den 1960er Jahren nicht", erklärt Praetorius, der Abriss sei also kein Problem.

Die Optik ist das eine. Was den Gegnern im Dorf aber am meisten Sorge macht, sind die zu erwartenden Menschenmengen: 320 Konzertbesucher in einem 54-Seelen-Dorf. 120 Gäste im Hotel. Schafft das nicht zwangsläufig soziale Konflikte? "Wir erwarten hier kulturell interessierte Gäste, die selbst Ruhe und Natur lieben und sich entsprechend verhalten, keine, die Ballermann-Partys machen." Das, betont Praetorius, "passt gut zu dem vom Landkreis angestrebten sanften Tourismus".

Dennoch besteht aus Sicht der Kritiker die Gefahr, dass Weißenbrunn mit seiner naturnahen Lebensweise zum Disneyland des Landlebens degradiert, zum Vorführobjekt für reiche Klientel aus Frankfurt oder Leipzig, Fulda oder der Metropolregion Nürnberg wird. "Wir rechnen mit einem Einzugsgebiet von etwa 300 Kilometern", sagt Praetorius. Mit der bisherigen Ruhe, das steht fest, wird es vorbei sein in diesem unterfränkischen Dorf. Eine verlockende Vorstellung für die Befürworter, eine Katastrophe für die Gegner, die dabei sind eine Bürgerinitiative zu gründen.

Aktueller Blick auf das Schloss.

Aktueller Blick auf das Schloss. © e-arc-tmp-20210518_135244-2.jpg, NNZ

Der Politik müsse klar sein, dass Folgeinvestitionen in Infrastruktur notwendig werden, sagen die Kritiker. Derzeit hat Weißenbrunn keine Buslinie. Dass Konzertbesucher größtenteils mit dem Öffentlichen Nahverkehr anreisen, ist wohl sowieso nicht zu erwarten. Aber dass sie in Stoßzeiten dauerhaft – vor allem in Winter – über das schmale Sträßchen an- und abreisen, sei auch schwer vorstellbar. Da dürfte früher oder später ein Ausbau fällig sein – auf Kosten der öffentlichen Hand, versteht sich.

Dass der Ort zugeparkt wird, soll die Tiefgarage, für die der Schlosshof unterkellert und gleichzeitig aufgeschüttet wird, verhindern. Dennoch dürften 130 Stellplätze für 320 Konzertbesucher eng werden, rechnen die Kritiker vor. Die Flächenversiegelung des Schlosshofs ist auch eines der ökologischen Argumente der Gegner des Projekts, das, so ihre Mahnung, in einer der wasserärmsten Regionen Bayerns entsteht.

Eine entscheidende Frage ist auch: Kann so ein Konzertsaal mitten im Nirgendwo überhaupt funktionieren? Stephan Stetter hat da seine Zweifel: "Es ist ein Prestigeprojekt, mit dem sich die Stadt und der Landkreis gut darstellen könnten. Und die Lage scheint mir für sie ideal. Bei Erfolg nah genug, um damit zu werben, und gleichzeitig weit genug entfernt, damit bei Misserfolg das Problem nicht jeder ständig vor Augen hat – außer die Weißenbrunner."

Wären Pia Praetorius und Wolfgang Kropp nicht überzeugt vom Erfolg des Vorhabens, würden sie dieses Mammut-Vorhaben nicht angehen. "Es wird sich zu unseren Lebzeiten nicht mehr amortisieren", sagt die Musikerin, deren Mann Europas größten Windpark in Schweden gebaut hat und somit mit Großprojekten vertraut ist. Ja, meint sie, es sei ihr Lebenstraum, einen eigenen Konzertsaal zu haben. Und natürlich hoffe sie dafür auch auf öffentliche Förderung. Bei der Planung eines Musikpavillons im Barockgarten hat das bereits geklappt: Mit Mitteln aus dem "Neustart Kultur"-Programm des Bundes kann die Open-Air-Spielstätte gebaut werden.

Für den Konzertbetrieb und die Kulturangebote des Hotels will Praetorius anfangs als Intendantin fungieren. Im Saal sollen CD-Aufnahmen, Proben nicht nur der Musikakademie-Studenten und natürlich Aufführungen aller Art stattfinden. Der Hotelbetrieb, so die Rechnung, finanziert die Kultur mit. "Dafür", betont Praetorius, "haben uns alle Berater dasselbe gesagt: Das Hotel muss mindestens 60 Zimmer haben. Sonst geht es kalkulatorisch nicht auf."

Verteilt werden die Betten auf zwei Gebäude in dem hügeligen Gelände, das derzeit hauptsächlich aus Wiesen besteht. Das untere Hotel wird als "Baumhaus" in Holzbauweise auf Stelzen gestellt. "Ökologisches Bauen ist uns ein Herzensanliegen", sagt Praetorius über das Gesamtprojekt, das sie bis 2024 realisieren will. Unter den Stelzen wird ein kleiner "Bahnhof" angelegt. Dort steigen die Gäste in die Standseilbahn, die sie zum oberen Hoteltrakt mit dem großen Wellnessbereich bringt.

Von Entspannung ist der Ort selbst aber weit entfernt. Die Kritiker fühlen sich in einem Kampf wie David gegen Goliath. Die Schlossherren beteuern, nur das Beste für die Region zu tun. Der große Konflikt im kleinen Weißenbrunn zeigt: Nicht nur Stromtrassen oder ICE-Instandhaltungswerke sorgen für Proteste der Anwohner am geplanten Standort. Auch die Kultur hat Sprengkraft.

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