Wie mit Goethe die Post abgeht

25.11.2009, 00:00 Uhr
Wie mit Goethe die Post abgeht

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Herr Eisermann, fühlen Sie sich dem schwärmerischen Werther wesensverwandt?

André Eisermann:
Wir alle neigen wohl dazu, uns in Gefühle hineinzusteigern, gerade wenn es um dieses große Thema Liebe geht. Da sieht man oft in dem anderen etwas, was man sehen will und nicht, was es wirklich ist. Sowas hab ich auch gerade hinter mir. Ich denke, jeder gerät irgendwann einmal in diesen Taumel des Glücks und der Enttäuschung. Das auf der Bühne auszuleben – richtig mit Pathos, mit Goethe – macht enorm viel Spaß. Da geht voll die Post ab. Das ist für mich totale Pop-Kultur. Der Werther ist der größte Pop-Roman, der je geschrieben wurde und aktueller als je zuvor.

Aber eine seelische Nähe zu Werther empfinden Sie nicht?

Eisermann:
Ich weiß es nicht. Ich beginne den Abend mit dem Satz: «Wie froh bin ich, dass ich weg bin.» Und ab dem Moment passiert etwas in mir, was ich nicht beschreiben kann. Wenn ich irgendwo auf einem Abhang stehe mit ausgebreiteten Armen und der Wind pfeift und das ganze Feld wird überschwemmt – da bin ich dermaßen in Rage, nassgeschwitzt, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich tue. Ich les’ dann auch nicht mehr, ich sprech’ das Ganze irgendwann inwändig und werde dank dieses wahnsinnig tollen Textes hineinkatapultiert in die Emotionalität der Figur. Das ist richtig geil.

Ihnen eilt der Ruf voraus, schwierig und unberechenbar zu sein. Sehen Sie sich selbst so?

Eisermann:
Das kann ich nicht beurteilen. Ich erlebe das nicht so. Aber ich bin natürlich nicht Mainstream. Die Leute, die zu mir kommen, erleben nichts Austauschbares oder etwas, was allen schmeckt.

Sie stammen aus einer Schaustellerfamilie, haben keinen Schulabschluss. Haben Sie das eine zeitlang als Handicap empfunden?

Eisermann:
Nein, ich wollte ja immer Schauspieler werden. Davon hab ich mich nie abbringen lassen und es auch ohne Abschluss geschafft. Egal welche Ausbildung man hat, wichtig ist, dass man an seine Ziele glaubt.

Engagieren Sie sich deshalb für das Projekt «Hauptschul-Power»?

Eisermann:
Ja. Erich Schuster, der das Projekt der defacto.stiftung in Erlangen ins Leben gerufen hat, bietet Schülern die Möglichkeit, in viele Berufe hineinzuschnuppern und einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bekommen. Ich will demnächst etwas machen, was jungen Leute hilft, Ausdruck, Sprache und Stimme zu schulen. Ich unterstütze viele Hilfsprojekte, aber die Aktion «Hauptschul-Power» finde ich eine der wichtigsten.

Verzweifeln Sie, wie Goethes Werther, manchmal an der Wirklichkeit?

Eisermann:
Da ich Künstler bin und einen Sinn für das Schöne, Ästhetische habe, geh ich an dieser Welt nicht zugrunde, sondern empfinde sie als etwas Wunderbares. Aber die meisten Menschen konzentrieren sich auf das, was sie nicht haben. Dadurch können sie am Ende nur nichts haben.

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