Wo sich Voluptas auf dem Lotterbett räkelt

15.8.2009, 00:00 Uhr
Wo sich Voluptas auf dem Lotterbett räkelt

© Robert Sauerbeck

Der rosa-graue Abendhimmel taucht den Sebalder Platz in ein eigentümlich dämmriges Zwielicht. Etwa 30 Leute warten darauf, zu einer Reise in das Innenleben der Kirche eingelassen zu werden. Als die Tür sich öffnet, empfängt modrige, warme Luft die Besucher, die nun zahlreich herbeiströmen. Auch in dem dunklen Gewölbe herrschen ambivalente Lichtverhältnisse. Hinter jeder Säule brennt eine Kerze und lotet flackernd den Raum aus. Etwa 100 Menschen unterhalten sich inzwischen fröhlich lärmend in den Bänken.

Nachtschwarzes Kirchenschiff

Mit dem Glockenschlag verwandeln sich die Gespräche in ein Flüstern. Im nachtschwarzen Kirchenschiff wispert es in allen Ecken, bis Touristenpfarrer Axel Töllner mit dem Kunstgespräch beginnt. Um Nordlichter soll es diesmal gehen: Hörbar an der Orgel realisiert vom norwegischen Organisten Collin Smith und sichtbar zu studieren an ausgewählten Stationen.

Zur Einstimmung schieben sich bedrohliche Akkordmassen der «Finlandia« von Sibelius durch den Raum, die das Zwielicht endgültig ins Finstere wenden. Nachdem die letzten Klänge wie Krähen durch das Gewölbe geflattert sind, erstrahlt der Kirchenheilige und Stadtpatron grell im Scheinwerferlicht. St. Sebald wurde künstlich zum «Nordlicht« stilisiert: Nachdem es vor 500 Jahren den aufstrebenden Nürnberger Händlern nicht gefiel, dass ihre Ikone nur ein unbekannter Asket war, machten sie aus ihm kurzerhand einen Buddha-ähnlichen Königssohn aus Dänemark, der das luxuriöse Leben gegen die Einsiedelei tauschte. Daher der Pilgerhut auf dem Kopf und die Krone versteckt unter dem rechten Fuß.

Die Rückseite hat es in sich

Buxtehudes «Komm heiliger Geist« schwebt beruhigend durch den Raum. Ähnlich harmlos scheint die nächste Statue zu sein: Ein «fescher Jüngling« präsentiert sich an der Nordseite mit einem – damals - modernen Haarschnitt und schmucken spitzen Schuhen. Geschickt lenkt Töllner die Aufmerksamkeit zunächst nur auf die ansehnliche Vorderseite der Figur, ehe die Horror-Show beginnt: Die Rückseite des jungen Mannes zeigt ein schlangen- und madenzerfressenes Skelett. Hier offenbart das Laster seine fatale Wirkung, die Führung wird zur Geisterbahnfahrt.

Passend dazu kriecht Griegs «Holberg-Suite« wie Gewürm in die Gehörgänge und ihre stufenartigen Abwärtsbewegungen verheißen nichts Gutes. Ein fröhlicher Tanz-Satz rettet für kurze Zeit die Stimmung vor dem Untergang. Oder ist die Melodie gar nicht so heiter? Klingt sie in der nächtlichen Gruft bei Kerzenlicht nicht aberwitzig und grotesk?

Justitia als Prostituierte

Auch das Sebaldus-Grab gibt an diesem Abend seine Schrecken preis. Nach einem 20 Jahre lang ausgefeilten Plan begann Messinggießer Peter Vischer 1508 mit der Ausführung. Seitdem tummeln sich spielende Putten und bizarre Zwitterwesen hinter dem Altar im Ostchor. Die nackte Voluptas räkelt sich in ihrem Lotterbett und als Prostituierte mit abgewetztem Kopf treibt Justitia hier ihr Unwesen. Unter dem Grab kriechen Schnecken hervor, die vom Kerzenflackern geweckt wurden.

Höhepunkt des makaberen Lustspiels ist jener Ort, aus dem all die unheimliche Musik kommt. Ein Relikt der historischen Orgel ziert die Mitte des modernen Neubaus. Hier prunkt ein Rohraffe - eine Teufelsfratze mit Vampirzähnen und roter Zunge, die herausschnellt, wenn der Organist den entsprechenden Knopf drückt. Ein blökendes Geräusch mischt sich unter die hellen Flötentöne der Pfeifen: Auch wenn er es nicht gut kann, Satan wird trotzdem zum Mitsingen verdonnert. Am Ende der Führung erklingt ein unheimliches Schlaflied, das leise verhallt, während es schaurig einen Halbton sinkt. Mit wohliger Gänsehaut verlassen die Besucher das Gruselkabinett.

Nächste Nachtführung zum Thema «Albrecht Dürers Kirche« am 1. September, 20 Uhr.