Aktionsplan
Maßnahmenpaket: So will Nürnberg für mehr Gleichberechtigung sorgen
28.10.2021, 18:00 UhrWas genau ist der Gleichstellungsaktionsplan?
Das Wort klingt sperrig, doch in der Schublade landen sollte der Gleichstellungsaktionsplan dennoch nicht. Auf gut 50 Seiten haben die Beteiligten ein umfangreiches Maßnahmenpaket erarbeitet, das die Gleichberechtigung auf allen Ebenen voran treiben will. Es geht dabei zum einen um Veränderungen innerhalb der Kommunalverwaltung, zum anderen aber auch um die gesamte Stadtgesellschaft. In deren Gestaltung sollen sich alle Menschen einbringen können, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrer Religion, ihrer sexuellen Identität oder ihrer körperlichen Verfassung.
Warum gibt es so ein Papier überhaupt?
Grundlage dafür ist die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene. Sie setzt sich dafür ein, dass Gleichstellung in allen Bereichen des Lebens verwirklicht wird. 1844 Städte in 36 Ländern haben die Vereinbarung bereits unterschrieben. In Deutschland sind es 59, Nürnberg ist seit 2010 dabei und hat mit dem jetzigen Forderungskatalog bereits den vierten Gleichstellungsaktionsplan vorgelegt. Erarbeitet wird dieser unter Leitung der Gleichstellungsstelle von der Koordinierungsgruppe Gender, der Vertreter aus verschiedenen Bereichen der Stadtverwaltung angehören.
Aber brauchen wir so etwas heutzutage wirklich immer noch?
"Ein ganz klares Ja" kommt dazu von der städtischen Frauenbeauftragten Hedwig Schouten. "Wir haben schon viel erreicht, aber es gibt noch immer viel zu tun." Das zeigen aus ihrer Sicht allein schon die Zahlen. So sind in der Nürnberger Stadtverwaltung zwar 55 Prozent der Beschäftigten weiblich, der Anteil der Dienststellenleiterinnen liegt aber nur bei 20 Prozent. Rechnet man die häufiger von Frauen geleiteten Schulen dazu, kommt man auf einen Frauenanteil von rund 30 Prozent. Immerhin herrscht mittlerweile in der obersten Führungsebene eine Parität: Unter den acht Referenten sind vier Frauen.
Und wie könnte sich die Situation verbessern? Würde eine Quote helfen?
Im Bereich der Wirtschaft sei eine Quote wichtig, betont Schouten. Auf kommunaler Ebene dagegen sei sie schwer umzusetzen, auch, weil es bei den wenigen Führungspositionen nicht immer die passenden Bewerberinnen gebe. "Wir wollen lieber mit Hilfe von Mentoring-Programmen gegensteuern." Ein solches Angebot gibt es bereits in der Stadtverwaltung, die Nachfrage ist groß. Dass Führung auch in Teilzeit möglich ist, sei ebenfalls wichtig. "Auch Männer nutzen das", sagt Matthias Becker, Ansprechpartner für Männer in der Gleichstellungsstelle. Das könne für eine andere Arbeitsverteilung in der Familie sorgen und wirke sich damit auch auf die (Stadt-)Gesellschaft aus. Laut Väterreport wollen sich 50 Prozent der Väter die Kinderbetreuung mit ihrer Partnerin gleichberechtigt teilen, nur 18 Prozent tun dies tatsächlich. Doch Angebote wie Teilzeitführungsjobs könnten das ändern. Damit sich mehr junge Frauen in die Politik trauen, ist zudem ein "Speeddating" mit Politikerinnen an einer Schule geplant.
Was kann der Gleichstellungsaktionsplan außerhalb der Kommunalverwaltung erreichen?
"Unser Ziel ist eine geschlechtergerechte Stadtgesellschaft", sagt Schouten. Konkret bedeutet dies, dass das Thema bei sämtlichen Planungen mitgedacht wird. Zum Beispiel bei Bauprojekten und Umbauten im öffentlichen Raum. Hier gehe es unter anderem darum, Angsträume zu vermeiden, wie die Frauenbeauftragte betont. Das Ziel wurde schon länger formuliert, jetzt wird es immer häufiger beachtet. "Doch es braucht einen langen Atem", sagt Schouten - allein schon, weil sich nicht die gesamte Stadt auf einen Schlag umgestalten lässt.
Gleichberechtigung und Corona: Frauen als Verlierer der Krise?
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Rollenverteilung in der Gesellschaft? "Ich sehe einen Rückschritt in traditionelle Verhaltensmuster", sagt Schouten. Den Kraftakt, Homeoffice und Kinderbetreuung zu verbinden, hätten vor allem die Frauen gestemmt, viele von ihnen hätten ihre Arbeitszeit weiter reduziert oder die Elternzeit verlängert. Corona sei wie ein "Brennglas", ergänzt Becker. "Es ist deutlich geworden, wo die Probleme liegen." Paare, die sich Erwerbs- und Familienarbeit relativ gleichberechtigt geteilt haben, hätten das aber auch im Lockdown fortgesetzt.
Und bei welchen Themen haben die Männer Nachholbedarf?
Zum Beispiel beim Thema Gesundheit, betont Matthias Becker. Sein Ziel ist es deshalb unter anderem, mehr Männer für Präventionsangebote zu gewinnen. Zudem sind auch Männer in ihrer Berufswahl auf bestimmte Berufe fixiert. Um hier die traditionelle Rollenverteilung aufzubrechen und Jungen auch für soziale und pflegerische Berufe zu interessieren, findet neben dem "Girls Day" auch ein "Boys Day" statt. Ansprechpartner für Männer sind übrigens noch eine Seltenheit in den deutschen Kommunalverwaltungen. Man könne sie an einer Hand abzählen, so Becker, der seine Arbeit als Ergänzung zur Arbeit der Frauenbeauftragten sieht. "Gleichstellung ist nicht nur ein Frauenthema." Das Ziel ihrer Arbeit sei erreicht, sagen beide, wenn das Geschlecht irgendwann keine Rolle mehr spiele.