Badminton-Ass Pistorius erklärt Wechsel zum Rekordmeister
18.7.2020, 13:37 UhrHerr Pistorius, in einem turbulenten Frühjahr folgte auf die Ankündigung des Freystädter Rückzugs aus der Bundesliga der vorzeitige Saisonabbruch wegen Corona. Wie schnell konnten Sie sich mit dem Gedanken an eine neue Herausforderung anfreunden, nachdem Sie als Eigengewächs den sportlichen Abschied vor heimischer Kulisse verpasst haben?
Dem TSV und gerade meinen dort involvierten Eltern habe ich natürlich viel zu verdanken, hier habe ich meine Grundlagen gelernt. Für mich war es deshalb selbstverständlich, die Verbundenheit so lange wie möglich zu pflegen, auch wenn mehr Reisekilometer anfallen. Die Halle (in der er vor den Spielen persönlich die Tribünen mit aufbaute; d.Red.) war oft bis auf den letzten Platz gefüllt und die Stimmung toll. Ich bleibe weiter Mitglied und schaue sicher zum einen oder anderen Training vorbei. Gleichzeitig aber ist es Zeit für eine Veränderung, schließlich will ich mich in der Mannschaft auf höchstem Niveau messen. Schon seit Februar liefen die Gespräche mit Saarbrücken vielversprechend. Die kurzen Wege (genauso die familiären Wurzeln ins Saarland; d.Red) sind dabei nur ein Faktor, die den Standort attraktiv machen.
Das Finanzielle will ja auch geregelt sein. Wie kommt man als Badminton-Profi über die Runden?
Für das ganze Leben Aussorgen kann keiner. Im Gegensatz zu anderen Sportarten kommen die deutschen Topspieler allerdings gut aus. Während die Turnier- und Trainerkosten großteils vom Verband übernommen werden, ergeben sich die wichtigsten Einnahmen durch Ausrüsterverträge und die Bundesliga-Einsätze im Verein (internationale Klub-Wettbewerbe gibt es nicht; d.Red.). Als drittes Standbein dient mir die Anstellung als Sportsoldat bei der Bundeswehr. Vorher bekam ich Unterstützung von der Deutschen Sporthilfe Stiftung.
Den Schläger bei Bedarf gegen ein G36 tauschen: Wie sieht die Beschäftigung konkret aus?
Zuerst musste ich Ende 2019 eine vierwöchige Grundausbildung absolvieren, da es die Wehrpflicht bei meinem Schulabschluss nicht mehr gab. Die Zeit war durchaus interessant, das Programm anstrengend, aber als Leistungssportler gehören Anpassungsfähigkeit und Disziplin zum Alltag. Weitere Lehrgänge stehen frühestens nächstes Jahr an, ansonsten reiche ich meine Trainingspläne ein und trage das Bundeswehr-Logo bei Wettkämpfen.
Mit einem abgeschlossenen Bachelor-Studium als Wirtschaftsingenieur stünden die Türen für eine lukrative zivile Laufbahn ebenfalls offen.
Auf diese Option habe ich — mit etwas längerem Vorlauf — bewusst hingearbeitet und versuche mich nebenbei auch noch am Master. Doch das ist erstmal nur für den Hinterkopf gedacht. Aktuell konzentriere ich mich voll auf den Leistungssport, den manche noch bis Mitte 30 auf Spitzen-Niveau betreiben. Ich dagegen komme jetzt erst ins richtige Alter und sehe den Wechsel nach Saarbrücken deshalb als Startschuss, mich selbst auf ein neues Level zu puschen. Der mit dem Anspruch auf Titel verbundene permanente Erfolgsdruck wird eine neue Erfahrung, auf die ich mich freue. Mein festes Fernziel für 2024 ist die Olympia-Teilnahme in Paris (nur eine von vier bis fünf potenziellen Doppel-Paarungen bekommt den deutschen Startplatz; d.Red.). Dank einer doppelten Lizenz kann ich zu ausgewählten Terminen auch noch für einen Schweizer Klub antreten und international zusätzliche Spielpraxis sammeln.
Die litt in den vergangenen Monaten bekanntlich extrem. Von einer auskurierten Verletzung ging es direkt in den Lockdown. Wie sehr zehrte das an den Nerven?
Das seltsame Gefühl in dieser ungewohnten Situation hat wohl jeder empfunden. Ich war froh über die Struktur, die mir das Trainingspensum zu Hause in Freystadt gegeben hat. Von einem Bekannten konnte ich mir Hanteln ausleihen. Dazu bekam jeder Nationalspieler kurzfristig ein Spinning-Rad und Programm für Ausdauerintervalle zugeschickt. Mobilitätsübungen und Sitzungen mit Mental-Coach fanden im gemeinsamen Online-Chat statt. Bei zwei Einheiten am Tag kam keine Langeweile auf. Lediglich die Wochenenden waren ungewohnt stressfrei.
Plagen einen nicht irgendwann Entzugserscheinungen vom geliebten Sportgerät?
Ein bisschen im Thema Badminton konnte ich zumindest über Videoanalysen bleiben. Nach einer Woche, die ich noch ziemlich befreiend fand, fehlte mir tatsächlich vor allem schon der kompetitive Part des Vergleichens. Also haben mein Bruder und ich im Garten Speedminton gespielt. Ein paar Trockenübungen ohne Ball waren auch dabei, um technische Abläufe beizubehalten und die Armkraft zu fordern. Sonst kann es später zu muskulären Problemen kommen.
Wie verlief denn der Wieder-Einstieg?
Mit fortgeschrittener Reife fällt es leichter, sich am Anfang zu zügeln und nicht zu überziehen. Spaß und Erleichterung haben dennoch eindeutig überwogen. Als erstes gilt es, wieder ein Gefühl für das Feld zu finden. Seit April durften wir unter Auflagen bereits einmal am Tag mit festen Partnern und reichlich Abstand zum nächsten Feld üben. Vor dem Betreten der Halle werden die Hände desinfiziert. Inzwischen trainieren wir wie üblich zweimal am Tag und können den Kraftraum wieder nutzen.