Neun weitere Stolpersteine erinnern und mahnen
17.7.2018, 15:15 UhrVor der Hausnummer 14 in der Bahnhofstraße schimmern nun vier Steine am Boden. Sie sollen die Erinnerung an Familie Landecker wach halten: Vater Ludwig (geboren 1874) war ein Vieh- und Pferdehändler und hatte das Anwesen mit seiner markanten Klinkersteinfassade gekauft. Er war ein Wohltäter, der viel für die Stadt tat und beispielsweise anlässlich seiner Silberhochzeit den Bau eines Kinderheimes finanzierte.
Er und seiner Frau Karolina (geboren 1877) wurden drei Kinder geboren: Während der Vater die "Schutzhaft" am 10. November 1938 im Neumarkter Gefängnis nicht überlebte - die Nazis misshandelten ihn so schwer, dass er noch in derselben Nacht starb - wurden seine Frau und seine zwei Kinder Berthold (Jahrgang 1899) und Selma (1901) nach Polen deportiert, wo sie ermordert wurden. Lediglich dem jüngeren Bruder Justin und dessen Frau gelang rechtzeitig die Flucht vor den Nazi.
Rosen niedergelegt
Schüler eines P-Seminars am Ostendorfer Gymnasium hatten die Lebensläufe am Montagnachmittag vorgetragen, ehe von den Schülern willkürlich ausgewählte Anwesende Rosen rings um die Stolpersteine niederlegten - ebenso an der Bahnhofstraße 20. Denn auch dort, vor der Einfahrt zu dem altgrün-weißen Haus wurden am Montag drei mahnende Steine verlegt – für Sophie Landecker (Jahrgang 1876) und ihre Familie.
Am Karfreitag 1942 wurden Mutter und Sohn Leonhard (Jahrgang 1898) nach Piaski in Ostpolen deportiert. Während der viertägigen Fahrt waren sie mit rund 860 anderen Menschen zusammengepfercht. Im Ghetto verlieren sich die Spuren. Wer nicht dort starb, kam ins KZ.
Mit Kohlenmonoxid getötet
Ihren Sohn Martin (geboren 1903) musste Sophie Landecker schon früher gehen lassen: Bei ihm hatte sich im Lauf der Zeit eine Behinderung eingestellt, sodass er seit 1936 in Heilanstalten verlegt worden war, ehe er am 20. September 1940 in die Tötungsanstalt Hartheim (Österreich) kam.
Dort wurde er von den Nazis mit Kohlenmonoxid getötet – im Rahmen des Euthanasieprogramms "T4", das die Tötung pflegebedürftiger (und damit kostenintensiver) Personen umschrieb. Der Stolperstein für ihn als Opfer des Euthanasie-Programms der Nazis, ist der erste dieser Art in Neumarkt.
Zwei weitere Steine sind zuvor in Sulzbürg am Vorderen Berg 18 in den Boden eingelassen worden – zur Erinnerung an Simon und Thekla Freising, die 1890 das Gebäude mit Hof erworben hatten. Die Enkelin des zweitältesten Sohnes Gustav, Karola Gerhard, sagte bei der Steinverlegung: Sie hoffe, dass viele Menschen über die Steine stolpern und sich dann an die Familie Freising, aber auch die Juden in Sulzbürg und die Grausamkeit des Holocausts erinnern mögen.
"Absolut notwendig"
Laut Heide Inhetveen, einer Sprecherin der Initiative "Stolpersteine für Neumarkt und Sulzbürg" sind die Steine eine besondere Form der Erinnerungskultur, die gerade wegen des aktuell wieder aufkeimenden Antisemitismuses notwendiger seien, denn je zuvor.
Auch andere Vertreter von Kirchen, Städten und Landkreis appellierten an die Menschen. So zum Beispiel auch die Neumarkter Diakonin Christiane Murner: "Die Menschen, an die die Stolpersteine erinnern, sind der Beweis, wie schlimm es sein kann, wenn wir wegschauen, nichts machen und nichts sagen."
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