Erinnerung an jüdische Mitbürger

"Stolpersteine" für geflohene Juden aus Neumarkter Bahnhofsviertel

Nicolas Damm

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30.09.2021, 17:59 Uhr
Die Stolpersteine für Mina Neustädter und ihre Tochter Nanni wurden in der Schützenstraße verlegt. Deren Flucht aus Nazi-Deutschland führte sie nach Südafrika.

© Nicolas Damm, NN Die Stolpersteine für Mina Neustädter und ihre Tochter Nanni wurden in der Schützenstraße verlegt. Deren Flucht aus Nazi-Deutschland führte sie nach Südafrika.

"Es war immer Flucht, nie Auswanderung", stellte Heide Inhetveen, Sprecherin der Initiative Stolpersteine, gleich am ersten Erinnerungsort in der Schützenstraße klar. 37 so genannte Stolpersteine hat die Gruppe geschichtsinteressierte Bürger bereits in Neumarkt und Sulzbürg verlegt, finanziert durch Spenden.

Weitere sieben hat Bauhof-Mitarbeiter Josef Götz, in Vertretung des Kölner Künstlers Gunter Demnig, nun am Donnerstag vor den ehemaligen Häusern verfolgter Juden in den Gehweg eingelassen. Viktoria und Konstantin Klin als Violinduett gaben der Gedenkfeier trotz des Baustellenlärms von nebenan einen festlichen Rahmen, Bürgermeisterin Gertrud Heßlinger sprach ein paar nachdenkliche Worte.

Dr. Heide Inhetveen (links) mit den musikpreisgekrönten Geschwistern Viktoria und Konstantin Klin.

Dr. Heide Inhetveen (links) mit den musikpreisgekrönten Geschwistern Viktoria und Konstantin Klin. © Nicolas Damm, NN

Das Novum bei dieser fünften Verlegungsaktion: Bisher erinnerten die Würfel mit den eingravierten Lebensdaten nur an jüdische Neumarkter, die im Dritten Reich ermordet wurden. "Die neuen Steine verlegen wir für Opfer des NS-Regimes, die geflüchtet sind und dadurch ihre Heimat verloren haben", so Heide Inhetveen. Der größte Teil ihrer Familien fiel den Nazis zum Opfer; und in der Fremde, in Südafrika, in den USA, ja sogar in Palästina, hatten die Flüchtlinge meist einen schweren Stand.

Vor dem Haus Schützenstraße 15 wurden zwei Stolpersteine verlegt. Sie erinnern an Mina Neustädter, eine geborene Krauß aus Zirndorf, die im Alter von 57 Jahren Neumarkt verlassen musste, und an ihre Tochter Nanni, geboren 1912, die schon 1933 erst nach Zagreb flüchtete und dann nach Südafrika emigrierte, wohin dann auch ihre Mutter kam. Julius Neustädter, der Vater, wurde im KZ ermordet.

Mina und Nanni stellten 1960 einen Antrag auf Wiedereinbürgerung und starben in Frankfurt. Die Spur von Nannis Sohn Peter verliert sich im Bundesstaat New York. Vom früheren Neumarkter Haus der Neustädters quer über die Straße und durch einen Innenhof gelangt man zum Haus Bahnhofstraße 20. Hier wohnte die Schneidersgattin Mina Fleischer. Sie und ihr Mann suchten 1938 einen sicheren Hafen und fand ihn - auf Umwegen - in Palästina.

Baufhof-Mitarbeiter Josef Götz ließ die Steine in den Gehweg von Mina und Nanni Neustädter ein - neben dem Stein für Ehemann und Vater Julius, der im KZ ermordet wurde.

Baufhof-Mitarbeiter Josef Götz ließ die Steine in den Gehweg von Mina und Nanni Neustädter ein - neben dem Stein für Ehemann und Vater Julius, der im KZ ermordet wurde. © Nicolas Damm, NN

Etwas weiter Richtung Altstadt, vor dem Haus mit der Klinkersteinfassade, der Nummer 14, liegen schon vier Stolpersteine. Hier lebte Ludwig Landecker mit seiner Frau Karolina und den drei Kindern Berthold, Selma und Justin. Der Vieh- und Pferdehändler hatte sich um Neumarkt verdient gemacht, spendete unter anderem eine Million Mark zur Errichtung eines Kinderheims.

Doch am 10. November 1938 landete der damals 64-jährige Landecker in „Schutzhaft“ im Gefängnis am heutigen Amtsgericht. Dort wurde der herzkranke Senior so schwer misshandelt, dass er noch in derselben Nacht starb. Seine Frau wurde in Auschwitz umgebracht.

Auch Berthold und Selma fanden nach der Deportation in die besetzten Ostgebieten den Tod. Lediglich ihrem jüngeren Bruder Justin, damals 31 Jahre alt, und dessen Frau Rosa, eine geborene Metzger, gelang die Flucht. Justin wurde schon 1933 und dann noch einmal 1938 verhaftet und schwer misshandelt. Die Odyssee des Paares führte bis nach Japan, kurz nachdem es die USA erreichte, starb Justin Landecker an einer Blutvergiftung. Rosa heiratete wieder und ließ sich in New York nieder.

Dann noch zwei Stolpersteine für die Bahnhofstraße 9, auf der anderen Straßenseite zwischen dem Cafe Freiraum und dem Optiker Nidermayer: Das Haus musste der jüdische Viehhändler Jakob Hirsch Neustädter 1939 an einen "arischen" Mitbürger verkaufen, er und seine Frau Kathi wurden deportiert und kamen im heutigen Lettland ums Leben.

Ihr Sohn Kurt Eliezer, geboren 1913, kam 1938 nach Palästina. Dorthin folgte ihm seine neun Jahre jüngere Schwester Adelheid Lotte, die mit ihrer Heirat den Nachnamen Archenhold annahm. Sie starb erst 1998. Wer mehr zu den Schicksalen der verfolgten Juden aus Neumarkt wissen will, dem empfiehlt Stadtarchivar Frank Präger den detailreichen Wikipedia-Eintrag zu "Stolpersteine in Neumarkt".

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