So gefährlich ist der Erreger
Affenpocken-Fälle in Deutschland: "Müssen schnell handeln"
22.5.2022, 06:05 UhrNach dem ersten in Deutschland nachgewiesenen Fall von Affenpocken erwarten Mediziner weitere Infektionen. Eine große Ansteckungswelle in der Bundesrepublik ist aber nicht zu erwarten. Davon gehen sowohl die behandelnden Ärzte des Affenpocken-Patienten in München als auch das Robert Koch-Institut aus.
Auch in Berlin ist der Erreger inzwischen angekommen, zwei Menschen infizierten sich. "Expertinnen und Experten gehen jedoch davon aus, dass wir keine neue Pandemie fürchten müssen", sagt die Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne). "Wir müssen jetzt aber schnell und konsequent handeln, um Infektionsfälle zu erkennen und einzudämmen."
Der erste Fall wurde bereits am Freitag in Bayern identifiziert. Der 26 Jahre alte Münchner Patient stammt aus Brasilien und leidet an der milderen der zwei bekannten Virusvarianten. Das hat die Genom-Analyse des Erregers am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr ergeben, wie das bayerische Gesundheitsministerium mitteilte.
Der Mann leidet demnach an der westafrikanischen Variante, die seltener zu schweren Verläufen führt als die zentralafrikanische Virusvariante. Behandelt wird er im Schwabinger Krankenhaus in München, das über eine hochspezialisierte infektiologische Station verfügt.
Unterdruck und Abluftkontrolle
"Ich bin überzeugt, dass es insgesamt noch weitere Fälle in Deutschland geben wird", sagte Clemens Wendtner, der Chefarzt der infektiologischen Klinik des Schwabinger Krankenhauses.
"Dem Patienten geht es nach wie vor gut, er hat relativ wenig Symptome", sagte Wendtner auf Anfrage. "Er hat Hautläsionen an mehreren Stellen, aber er fiebert nicht und leidet nicht an Atemnot." Untergebracht ist der 26 Jahre alte Mann in einem Einzelzimmer mit vorgeschalteter Schleuse. "Im Patientenzimmer herrscht Unterdruck, so dass keine Luft unkontrolliert nach außen entweichen kann. Die Abluft wird zusätzlich über eine virusdichte Filteranlage aufgereinigt", sagte Wendtner.
"Von diesen besonders ausgestatteten Infektionsstationen, die zwar zur Versorgung von Affenpocken-Patienten nicht zwingend erforderlich sind, aber dennoch höchste Sicherheitsstandards für andere Patienten und medizinisches Personal garantieren, haben wir in Deutschland leider zu wenige."
"Sterblichkeit von einem Prozent"
Die Wissenschaft geht nach Worten des Mediziners davon aus, dass mit Affenpocken infizierte Patienten drei bis vier Wochen ansteckend sind. "Unser Patient ist seit 13./14. Mai symptomatisch, so dass er noch zwei bis drei Wochen vor sich hätte. Das hängt aber natürlich immer vom individuellen Verlauf der Infektion ab."
Die Klinik ist nach Wendtners Worten eines von sieben Zentren des "Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger" (STAKOB) in Deutschland, und das einzige in Bayern. "Allgemein geht man davon aus, dass die westafrikanischen Affenpocken eine Sterblichkeit von insgesamt einem Prozent haben, das betrifft vor allem Kinder unter 16 Jahren", sagte Wendtner.
"Man muss aber bedenken, dass diese Daten aus Afrika nicht zwingend übertragbar auf das Gesundheitswesen in Europa oder den USA sind, bei uns wäre die Sterblichkeit eher niedriger anzusetzen. Das ist eine Erkrankung, die meines Erachtens nicht das Potenzial hat, die Bevölkerung massiv zu gefährden."
Wer besonders gefährdet ist
Der Erreger der Affenpocken sei in die Risikogruppe drei eingestuft. "Das ist die zweithöchste Sicherheitsstufe", sagte der Wissenschaftler. "Die Aufarbeitung dieser Viren darf nur in Speziallaboren erfolgen, von denen es nicht viele gibt."
Es handle sich um eine klassische Schmierinfektion, "die durch direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten, aber auch das gemeinsame Nutzen von Bettwäsche oder das Teilen von Kleidung von Infizierten übertragen wird. Promiskuität und ungeschützter Geschlechtsverkehr sind Risikofaktoren."
Diese Medikamente helfen gegen die Affenpocken
Es gebe aber immunsupprimierte Patientengruppen, bei denen Vorsicht geboten sei. Immunsupprimiert bedeutet, dass Patientinnen und Patienten kaum Abwehrkräfte haben. "Dazu gehören beispielsweise HIV-Patienten ohne ausreichende medikamentöse Krankheitskontrolle, aber zum Beispiel auch Tumorpatienten mit schwerer Immunsuppression etwa nach Stammzelltherapie", sagte Wendtner.
Seit 2013 ist in der EU demnach der Impfstoff Imvanex zugelassen. "Dies ist ein Lebendimpfstoff, der aus einer abgeschwächten Form des Pocken-Impfstoffs hergestellt wird. Die Erreger sind so abgeschwächt, dass sie sich nicht vermehren können, sonst könnten immungeschwächte Patienten nicht geimpft werden", sagte der Wissenschaftler. "Wir haben nun eine Diskussion, wie man diese Risikogruppen besser schützen könnte und ob man eine sogenannte Riegelimpfung für sie einführen sollte."
Hilft klassische Pockenimpfung?
Riegelimpfungen sind nach Wendtners Erläuterung Impfungen, die für bestimmte Bevölkerungsgruppen - in diesem Fall die Immunsupprimierten - begrenzt eingeführt werden könnten, um die weitere Ausbreitung des Affenpockenvirus zu unterbinden.
"Wir gehen davon aus, dass die ältere Generation, die vor 1980 noch gegen die klassischen Pocken geimpft wurde, einen sehr hohen Schutz auch gegen Affenpocken hat, diese Menschen sind sehr wenig bis gar nicht gefährdet."
Mit dem Medikament Tecovirimat gibt es nach Wendtners Worten auch eine seit Januar 2022 in der EU zugelassene Therapiemöglichkeit für die Affenpocken-Erkrankung. Darüber hinaus könnte dieses Medikament gegebenenfalls auch jenseits der offiziellen Zulassung als Post-Expositions-Prophylaxe, also der vorbeugenden Behandlung nach Kontakt mit dem Erreger, eingesetzt werden.
"Tecovirimat ist ein kleines Molekül, das die Bildung des schützenden Hüllproteins des Affenpocken-Erregers verhindert, so dass die Virusfreisetzung aus der Wirtszelle verhindert wird", sagte Wendtner. "Das Mittel ist auf dem Weg nach Schwabing – nicht unbedingt für unseren Patienten, aber für nicht auszuschließende weitere Fälle."