Als erster Ort der Welt: Dorf in Norwegen will Zeit abschaffen
20.6.2019, 18:02 UhrDeshalb bemühe sich die kleine Insel darum, offiziell als erste zeitfreie Zone der Erde anerkannt zu werden, ergänzt der Leiter einer entsprechenden Initiative auf Sommarøy im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Weil es immer hell sei, müsse man schlichtweg gar nicht so genau wissen, wie spät es gerade sei. "Wenn du im Norden Norwegens lebst, macht es keinen Sinn, über Zeiten fürs Abendessen oder irgendeine andere Zeit zu reden", sagt Hveding. "Uns wird beigebracht, abends ins Haus zu gehen und um 21.00 Uhr Fernsehen zu gucken. Wir denken darüber gar nicht nach. Aber warum soll man um 17.00 Uhr Essen, wieso nicht erst um 22.00 Uhr? Lasst uns um Mitternacht Fußball spielen, warum nicht?" Zeitliche Begrenzungen gebe es so nicht. Schon heute hätten die Menschen auf der Insel ihres eigenen Tagesrhythmus entwickelt. Sommarøy (deutsch: "Sommer-Insel") liegt bei Tromsø im hohen Norden Norwegens. Rund um den längsten Tag des Jahres, dem 21. Juni, verschwindet die Sonne für die rund 350 Bewohner der Insel laut Hveding vom 18. Mai bis zum 26. Juli nicht hinter dem Horizont – das sind stolze 69 Tage.
Bryan Adams' Welthit "Summer of '69" dürfte auf Sommarøy also eine ganz andere Bedeutung haben. Dieser lange Sommer ohne wirkliche Unterteilung in Tag und Nacht sorge dafür, dass Kinder auf Sommarøy häufig um 2.00 Uhr draußen spielten und Hausbesitzer ihre Fassaden auch mal nachts strichen, sagt Hveding. "Die Mitternachtssonne macht Uhren bei uns überflüssig." Um das zu untermauern, haben viele Bewohner ihre Uhren an die Brücke gehängt, die auf die Insel führt – so wie Verliebte anderswo, etwa in Köln oder Prag, als Bekenntnis ihrer Liebe Schlösser an die Brückengeländer. Das Phänomen der Mitternachtssonne bedeutet, dass die Sonne die ganze Nacht über nicht hinter dem Horizont verschwindet. Das gilt für Sommarøy wie für andere Orte nördlich des Polarkreises. Hveding räumt ein, dass es sich um eine durchaus verrückte Idee handele.
Diese habe aber einen ernsten Hintergrund: "Wir haben mehr und mehr darüber diskutiert, wie unsere Uhr uns Zeit nimmt, anstatt sie uns zu schenken." Der Wunsch auf der Insel ist, dass man sich an keine zeitlichen Dimensionen etwa bei Ladenöffnungs-, Schul- oder Arbeitszeiten halten muss und somit mehr Flexibilität erlangt. Während in der EU über die Abschaffung der Sommerumstellung diskutiert wird, nimmt die Idee auf Sommarøy immer konkretere Züge an: Eine Petition wurde unterzeichnet, Hveding überreichte sie vor wenigen Tagen dem Parlamentsabgeordneten aus der Region, Kent Gudmundsen. Ob die Regierung in Oslo dem Ganzen zustimmt? Das ist noch unklar. Gudmundsen hält die Initiative aber für eine interessante Sache. "Das hört sich ziemlich spannend an", wird er von der Zeitung iTromsø zitiert. "Momentan arbeiten wir an der Sommer- und Winterzeit. Vielleicht sollten wir das als ein drittes Element – eine 'no time' - mit aufnehmen."
Um ihre Forderung "Let's stop time" – lasst uns die Zeit anhalten - zu untermauern, haben Hveding und seine Mitstreiter ein Video auf Facebook gestellt, das bereits mehr als 150.000 Mal angeschaut wurde. Darin stellt Hveding fest, dass die Bewohner von Sommarøy ihren nicht enden wollenden Sommer ohne jegliches Zeitgefühl genießen. "Wir machen, was wir wollen, wann wir es wollen." Sommarøys Ziel sei, die Zeit zu einem Phänomen der Vergangenheit zu machen. Der dpa verriet er, er selbst habe seine Uhr bereits vor sechs Jahren abgenommen. Das Ergebnis sei vor allem eines gewesen: weniger Zeitstress.
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