Auf dieser Insel gibt es Häuser zum Preis von einem Euro
4.10.2017, 20:35 UhrIn Gangi kostet ein Haus fast so viel wie ein Espresso. Egidia de Benedictis glaubte ihren Augen nicht, als sie das las. "Wie kann das sein? Das müssen wir uns ansehen!", habe sie zu ihrem Mann gesagt. Und so reiste das Paar aus Belgien in den kleinen sizilianischen Ort zwischen Catania und Palermo, in dem es sie wirklich gibt: Häuser für einen Euro.
In Gangi ist wenig zu spüren von der Quirligkeit und dem Durcheinander Palermos zwei Autostunden entfernt. Der Ort wurde auf einen Felsen gebaut, etwa 6700 Menschen leben noch dort. In der Altstadt scheint die Zeit im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Zwischen Steinmauern und unzähligen Kirchen begegnet man in den engen, steilen Gässchen auch an einem sonnigen Septembertag nur wenigen Leuten. Pittoresk ist der Ort, keine Frage: umgeben von Wanderwegen, mit Blick auf den stolzen Vulkan Ätna. Doch nur von schöner Aussicht kann niemand leben. Viele ziehen deshalb weg, in die größeren Städte oder ins Ausland.
Bürgermeister Francesco Paolo Migliazzo ist so stolz auf die Idee, die Gangi wiederbeleben soll, als wäre sie seine eigene gewesen. Der Deal: Wer in Gangi ein Haus für einen Euro kauft, verpflichtet sich, das Gebäude innerhalb von drei Jahren zu restaurieren und hinterlegt eine Bürgschaft von 5000 Euro. Die Ziele: "Das historische Zentrum aufwerten. Die Kommune wiederbevölkern. Die lokalen Handwerker unterstützen", sagt Migliazzo. Um die hundert Häuser wurden in den vergangenen Jahren für einen Euro verkauft, seit Migliazzos Vorgänger Giuseppe Ferrarello die Initiative angestoßen hatte. Nachahmer gibt es in Gemeinden der Toskana oder im Latium.
Alessandro Cilibrasi, ein Italiener, der nur selten sein Zigarettenpäckchen aus der Hand gibt, bringt die verlassenen, vernachlässigten und baufälligen Steinhäuser mit seinem Partner Santo Bevacqua an den Mann. Die Gebäude sind noch in Besitz der eigentlichen Eigentümer. Sie haben der Kommune Bereitschaft signalisiert, sie für einen Euro zu verkaufen. Auf der Homepage der Gemeinde kann man sich einen ersten Eindruck von den rund 30 Niedrigpreis-Objekten verschaffen. Oder direkt zu Cilibrasi in den alten Fiat steigen, der viel zu schnell durch die schmalen Straßen fährt. Er schließt ein kleines Eckhaus auf. Im Eingangsbereich liegt Müll, Licht gibt es nicht. Das Erdgeschoss wurde früher als Stall genutzt. An den unverputzten Wänden sind noch die Eisenringe zu sehen, an denen Tiere festgemacht wurden. "Vorsicht, nur hier hintreten", sagt Cilibrasi auf der Treppe ins Obergeschoss. Mit viel Fantasie erkennt man in dem Gebäude ein uriges Wohlfühl-Häuschen. Aber dafür ist viel Arbeit und Geld nötig.
"In den Häusern für einen Euro fiel alles in sich zusammen – es war viel zu viel zu tun", sagt die 69-jährige de Benedictis. Cilibrasi habe dem Paar aber ein anderes Haus gezeigt. Das musste zwar auch renoviert werden, war aber in einem ganz guten Zustand, wie de Benedictis sagt. Die belgischen Rentner schlugen 2014 zu – und investierten etwa 75.000 Euro.
Auch Laura Maria Aliénor Radulescu aus Stuttgart kam das erste Mal wegen der Ein-Euro-Häuser nach Gangi, gekauft hat die 30-Jährige ebenfalls ein teureres. "Von außen sehen die Häuser vielleicht ganz süß aus, aber man muss wirklich alles von Null an bauen. Und wenn man kein Haus für einen Euro kauft, hat man auch sein ganzes Leben Zeit, um zu renovieren." Radulescu ist Künstlerin und Designerin. Wie ihr Haus nach dem Umbau aussehen soll, hat sie sich selbst ausgedacht. Im untersten Stock soll ein Atelier entstehen. Eine Heizung muss noch eingebaut und die Hälfte des Treppenhauses neu gemacht werden. Wenn das Haus einmal fertig ist, könnte sie sich vorstellen, Deutschland für immer zu verlassen und auf Sizilien zu leben – aber nur, wenn sie einen Job findet. "Ich habe da eine Seelenheimat gefunden."
Ob sich mit Italien-Liebhabern und Teilzeitbürgern der Einwohnerschwund in Gangi wirklich aufhalten lässt? Fraglich. Doch die Werbetrommel ist gerührt – und die Not der Landflucht hat auch andernorts die Kreativität in die Rathäuser Italiens getrieben. In Castel del Giudice, wo die Einwohnerzahl seit den 60er Jahren von 1500 auf 340 sank, wurden verlassene Ställe in ein Hotel mit Gourmet-Restaurant verwandelt. Und auf der Mittelmeerinsel Ventotene wirbt der Bürgermeister um Migrantenkinder, damit die Schule nicht geschlossen wird.
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