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„Babycaust“: Wie radikale Abtreibungsgegner Frauen vom Abbruch abhalten wollen

Jannik Westerweller

Volontär

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07.04.2025, 09:14 Uhr
Abtreibungsgegner bei einer Demonstration in München.

© Aaron Karasek/imago images/aal.photo Abtreibungsgegner bei einer Demonstration in München.

Sie tragen weiße Holzkreuze durch die Straßen. Auf ihren Plakaten steht „Sag ja zum Leben“, „Bete mit uns“ oder auch „1000 Ungeborene jeden Tag“. Ein Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Babycaust“ - eine Kombination aus den Wörtern „Baby“ und „Holocaust“.

Es sind Szenen, wie man sie eigentlich nur aus den USA kennt. Und doch sind die Videos davon in Deutschland entstanden. Teils sind es private Handyaufnahmen aus den sozialen Netzwerken, teils Videoreportagen von „Spiegel“ und „STRG_F“. Sie zeigen sogenannte „Märsche fürs Leben“ in Städten wie Berlin oder München und Kundgebungen vor Beratungsstellen und Arztpraxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

Immer wieder demonstrierten in Deutschland in den vergangenen Jahren teils tausende Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen. Sie bezeichnen sich als „Pro Life“, angeblich wollen sie Leben schützen - und damit meinen sie das Leben eines ungeborenen Kindes. Ihr Ziel: Frauen davon abhalten, ihre Schwangerschaft selbstbestimmt zu beenden.

An solchen Demonstrationen, Mahnwachen und Protestaktionen mussten Frauen vorbei, wenn sie darüber nachdachten, ihre Schwangerschaft zu beenden. Doch das ist nun Vergangenheit. Seit November 2024 ist die sogenannte Gehsteigbelästigung in Deutschland verboten. Vor Arztpraxen, Kliniken und Beratungsstellen gibt es nun Schutzzonen. Abtreibungsgegner dürfen im Umkreis von 100 Metern nicht mehr protestieren. Bis zu 5000 Euro Bußgeld können fällig werden.

Holocaust-Verharmlosung

Doch auch wenn sie nicht mehr an diesen Orten demonstrieren dürfen, heißt das nicht, dass Abtreibungsgegner weniger radikal sind. Ihre Hetze verbreiten die selbsternannten „Lebensschützer“ vor allem auch im Internet. Dort posten sie Bilder von erschreckend menschlich aussehenden Föten mit abgetrennten Köpfen und von Ärzten in blutverschmierten Kitteln. Sie veröffentlichen Adressen von Ärzten, die Abbrüche durchführen. Sie dokumentieren ihre Versuche, rechtlich gegen Schwangerschaftsabbrüche vorzugehen - und wie sie dabei scheitern. Sie reden von einem „Babycaust“ und vergleichen Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust, Abtreibungskliniken mit Auschwitz.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung schreibt dazu in ihrer Serie „Deconstruct Antisemitism“: „Die Situation von [...] Embryonen und Föten mit dem Leiden der Shoah-Opfer gleichzusetzen oder gar als schlimmer zu bewerten, verkennt die Systematik und Singularität der NS-Verbrechen und relativiert diese.“

Die Abtreibungsgegner äußern radikale Kritik an der Rechtslage in Deutschland. Zwar sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich verboten, unter bestimmten Umständen sind sie aber straffrei. Dafür muss der Abbruch spätestens zwölf Wochen nach Empfängnis erfolgen und die Frau muss sich zuvor bei einer anerkannten Stelle beraten lassen. Auch wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung entstanden ist oder die Schwangerschaft die körperliche oder psychische Gesundheit der Frau gefährden würde, bleibt der Abbruch straffrei. Viele Abtreibungsgegner würden diese Ausnahmen am liebsten abschaffen.

„Stimmungsmache“

Elisabeth Mitterer, die bei der Nürnberger Stadtmission zu allen Themen rund um die Schwangerschaft berät, sagt zu den Schockbildern der Abtreibungsgegner: Das seien „Abbildungen von Föten, die den Eindruck erwecken, dass man da zum Beispiel in der neunten Woche schon ganz viel sieht“.

Aber: Diese Abbildungen hätten mit der Realität nicht viel zu tun, erklärt Mitterer. Denn gerade zu Beginn der Schwangerschaft - in der Zeit, in der auch Schwangerschaftsabbrüche möglich sind - deute noch kaum etwas darauf hin, dass hier potenziell ein Mensch entsteht. Eigentlich sei es nur Zellgewebe, in der neunten Schwangerschaftswoche etwa so groß wie eine Walnuss. „Da geht es tatsächlich um Stimmungsmache“, sagt Mitterer.

Denn die Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, haben laut Mitterer oft Schuldgefühle: „Die Frauen entscheiden sich ja nicht leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch.“ Häufig seien sie im Internet auch schon auf die Seiten der Abtreibungsgegner gestoßen. Dass diese selbsternannten „Lebensschützer“ die Frauen so in ihrer Entscheidung beeinflussen wollen, das ist für Mitterer ein „Unding“.

Stattdessen sei eine professionelle und neutrale Beratung wichtig: „Wir sind der Meinung, je klarer sich die Frau mit allen Teilen auseinandergesetzt hat, die sie dazu bewegen, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden, desto besser kann sie am Schluss auch das Ergebnis in ihr Leben integrieren.“

„My Body, My Choice“: Neue Podcast-Folge von „Bye Bye Baby Boom“ online

In der ersten Podcast-Folge von „Bye Bye Baby Boom - Wollen wir keine Kinder mehr?“ geht es um zwei Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hatten. Dabei ergeht es beiden Frauen sehr unterschiedlich. Die eine beschreibt die Erfahrung in der Klinik als traumatisch. Die andere hat ihre Schwangerschaft medikamentös zu Hause abgebrochen. Ihr geht es gut damit. In der Folge „My Body, My Choice“ erzählen wir ihre Geschichten. Zu hören ist die Folge ab jetzt, überall, wo es Podcasts gibt.

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