In ihrer Klageschrift führt Giuffre aus, dass sie als 16-Jährige, als sie noch Julia Roberts hieß, von Jeffrey Epstein als Masseuse rekrutiert und von ihm zu sexuellen Handlungen genötigt worden sei. Epstein war ein amerikanischer Bankier und Millionär, der 2008 wegen Missbrauchs einer Minderjährigen verurteilt worden war und sich vor einem zweiten einschlägigen Prozess im August 2019 in der Untersuchungshaft das Leben genommen hatte. Epstein habe sie, erklärte Giuffre, "an andere mächtige Männer für sexuelle Zwecke ausgeliehen". Darunter eben auch Prinz Andrew, der Herzog von York. Andrew habe, so die Klageschrift, "die Klägerin bei verschiedenen Gelegenheiten missbraucht als sie jünger als 18 Jahre alt war."
Der Prinz hat die Vorwürfe bisher stets abgestritten. Besonders vehement tat er das in einem BBC-Interview im Herbst 2019. Damals bestritt er kategorisch jede Beziehung zu der damals 17-jährigen Virginia Roberts. "Ich habe keine Erinnerung, diese Dame jemals getroffen zu haben", sagte der Prinz und bekräftigte: "Ich hatte keinen Sex mit dieser Frau!" Sein mutmaßliches Opfer dagegen behauptet, dass sie drei Mal zum Sex mit dem Prinzen gezwungen wurde – einmal in London, dann in New York und schließlich bei einer Orgie auf der karibischen Privatinsel von Epstein.
#MeToo: Jeder sechste Mann gibt sexuelle Belästigung zu
Bei dem Treffen in London 2001 sei man zum Nachtclub "Tramp" gegangen und habe getanzt. Der Prinz, sagte Roberts später aus, habe dabei "vor Schweiß getropft". Das kann nicht sein, protestierte Andrew in dem BBC-Interview. Zum einen sei er am besagten Tag gar nicht in London gewesen, sondern habe eine Pizza-Party mit seinen Töchtern gefeiert. Zum anderen hätte er zu dieser Zeit gar nicht schwitzen können, weil er bei einem Einsatz im Falkland-Krieg unter Beschuss gekommen sei, eine Überdosis Adrenalin ausgeschüttet habe und sich damit eine Anhidrose eingehandelt habe, wie der medizinische Ausdruck für eine fehlende Schweißsekretion lautet. Erst später habe er wieder gelernt zu schwitzen. Andrews Auslassungen wurden als wenig glaubhaft aufgenommen.
Es gibt zudem ein Foto von 2001, das Prinz Andrew zusammen mit Virginia Roberts in einer Londoner Stadtvilla zeigt. Da liegt der linke Arm des leger gekleideten Prinzen auf der Hüfte von Roberts, die Andrew ebenfalls um die Taille fasst. Dies sei nicht das Original, hatte der Royal im Interview behauptet, sondern "das Foto eines Fotos eines Fotos" - soll heißen, es sei manipuliert worden. Er könne sich nicht erklären, wie es dazu gekommen sein soll, denn in London würde er immer Anzug und Krawatte tragen. Außerdem sei er nie im Obergeschoss der Villa gewesen, wo die Aufnahme gemacht worden sei. Er legte nahe, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte: "Niemand kann beweisen, ob das Foto echt ist oder nicht, aber ich erinnere mich nicht, dass es jemals gemacht wurde." Doch die FBI, die die Vorwürfe gegen Epstein untersucht hatte und die von Roberts besagtes Foto erhielt, geht von dessen Authentizität aus. Auch unabhängige forensische Experten konnten keine Hinweise auf eine Fälschung entdecken.