Liebevolle Gefährtin

Gute Reise, Glenda: Abschiedsbrief an eine besondere Katze

Christian Urban

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8.9.2019, 10:40 Uhr
Gute Reise, Glenda: Abschiedsbrief an eine besondere Katze

© Anna Püls

Es ging so furchtbar schnell. Nachts war uns aufgefallen, dass Du flacher atmest als sonst. Gleich am Morgen des nächsten Tages waren wir mit Dir beim Tierarzt. Am Abend haben wir Dich im Garten meiner Eltern begraben. Zusammen mit Deinem geliebten Make-Up-Pinsel, den Du Dir so gerne geschnappt und unters Sofa mitgenommen hast, um ihn dort zu putzen als wäre er ein Kitten. Das war am 9. Januar 2018.

Ich erinnere mich noch an den ersten Augenkontakt mit Dir, damals im Oktober 2014. Wir waren auf der Suche nach einer Gefährtin für Tom, unseren Kater. Relativ ziellos liefen wir durch den Katzentrakt des Rother Tierheims, denn eine Katze sucht man sich nicht aus. Man WIRD ausgesucht. So schlenderten wir durch den langen Gang voller Türen mit Glasfenstern, hinter denen sich die Tiere tummelten.

Gute Reise, Glenda: Abschiedsbrief an eine besondere Katze

© Christian Urban

Keines nahm wirklich Notiz von uns. Einige schliefen oder fraßen, andere spielten mit ihren Artgenossen - und dann näherten wir uns der Tür Deines Zimmers. Mit den Hinterpfoten standest Du auf einem Brett, das neben der Tür an der Wand befestigt war, mit den Vorderpfoten auf der Türklinke. Und sahst uns durch die Glasscheibe an. Mit leicht schiefgelegtem Kopf und Deinen großen, wachen, grünen Augen. Da war die Wahl getroffen.

Knapp 1 1/2 Jahre warst Du alt - und Dein Name war Glenda. So hatte Dich das Tierheim zumindest getauft. Wir hätten den Namen auch ändern können, aber er gefiel uns und passte einfach irgendwie. Tom und Glenda. Das klang gut. Erst später habe ich herausgefunden, dass es ein englischer (genauer gesagt offenbar ein walisischer) Name ist und so etwas wie "die Schöne, Reine, Gute" bedeutet. Und auch das passte, denn eine liebevollere Katze habe ich in meinem Leben noch nicht getroffen.

Dabei hattest Du keinen leichten Start. Obwohl wir uns viel Zeit genommen haben, Tom und Dich schrittweise aneinander zu gewöhnen, waren die ersten beiden Wochen ein ständiger Kampf. Tom passte es nicht, dass da plötzlich eine andere Katze war - und das ließ er Dich deutlich spüren. Aber Du hast nicht locker gelassen. Hast immer wieder seine Nähe gesucht, ihn geputzt oder Dich neben ihn gelegt und ihn förmlich umarmt. Und letztlich hast Du ihm keine Wahl gelassen. Gewissermaßen hast Du ihn mit Deiner schier grenzenlosen Freundlichkeit einfach überrollt. Bis er Dich ebenfalls in sein Herz schloss.

Gute Reise, Glenda: Abschiedsbrief an eine besondere Katze

© Christian Urban

Schildpatt-Katzen - so nennt man Deine Fellfarbe - sind besonders, habe ich durch Dich gelernt. Sie maunzen nur selten, stattdessen gurren oder zirpen sie eher - und das nahezu die ganze Zeit. Sie können extrem zickig sein (warst Du allerdings nie). Und sie suchen sich unter "ihren" Menschen einen heraus, zu dem sie eine besonders tiefe und innige Beziehung aufbauen. Dieser Mensch war ich.

Wo auch immer ich in der Wohnung war, da warst Du auch. Du bist auf meinen Beinen gelegen, wenn ich auf der Couch saß. Hast auf dem Toilettendeckel gesessen, wenn ich duschen war. Wenn ich morgens im Sitzen meine Schuhe anzog, hast Du Dich auf meine Knie gestellt, mir Deinen Kopf ins Gesicht gedrückt und so sehr geschnurrt, dass Dein ganzer Körper vibriert hat. Wenn ich ein Glas Milch trank, hast Du Dich auf meine Oberschenkel gesetzt und gewartet, denn Du wusstest, dass Du immer die letzten zwei bis drei Tropfen ablecken darfst, die sich am Glasrand gebildet hatten.

Auf dem Weg nach oben ins Schlafzimmer hast Du Dich immer beeilt, auf der Treppe schneller zu sein als ich - und oben hast Du dann darauf gewartet, dass ich mich nach unten beuge, damit Du mir einen leichten Kopfstoß geben kannst, wie es Katzen bei Artgenossen machen, die sie besonders gerne mögen. Wobei, manchmal war der Kopfstoß auch nicht so leicht. Katzenköpfe sind wirklich verdammt hart.

Und dann bist Du ins Bett gehüpft und hast Dir ein paar Minuten den Bauch kraulen lassen, bis Du Dich schließlich zum Schlafen zurückgezogen hast.

Wobei es auch Dinge gab, die Du lieber alleine getan hast. Zum Beispiel Deinen geliebten Pinsel, den Du irgendwann mal entdeckt und dann einfach nicht mehr hergegeben hast, unters Sofa schleifen. Oder ungefähr einmal im Monat auf unseren wunderbar flauschigen, grünen (und glücklicherweise waschbaren) Badezimmer-Teppich pinkeln.

Das war aber nie die demonstrative Frust-Reaktion, mit der manche Katzen gerne zeigen, dass sie gerade im wahrsten Sinne des Wortes ausgesprochen angepisst sind. Ich glaube zwar, Du wusstest an sich ganz genau, dass Du das nicht tun sollst (und dass das Katzenklo nur einen Meter entfernt war), aber der Teppich war offenbar einfach zu flauschig und verlockend. Und Du warst eben eine Kuschelkatze - und hast den Teppich danach immer fein säuberlich zusammengeschoben, als wolltest Du die kleine Pfütze verscharren, die Du hinterlassen hast.

Ich erinnere mich, dass mir erst rückblickend aufgefallen ist, dass Du im Januar 2018 müder warst als sonst. Dass Du mehr geschlafen hast. Und ich erinnere mich noch an den eiskalten Stein, in den sich mein Magen verwandelt hat, als wir mit Dir beim Tierarzt waren und auf dem Röntgenbild die Flüssigkeit in Deiner Lunge sahen Und dass mir schwindelig wurde, als der Tierarzt sagte, dass das sehr schlimm aussähe - und dass die Ursache vermutlich ein versteckter Herzfehler war.

Er gab Dir eine entwässernde Spritze und meinte, es gäbe eine - sehr geringe - Chance, dass sich Deine Lunge auf diese Weise zumindest ein wenig leert. Dass er uns aber keine wirkliche Hoffnung machen könne und die nächsten Stunden entscheidend seien.

Wir nahmen Dich wieder mit nach Hause und verbrachten mit Dir die längsten Stunden unseres Lebens. Hofften und bangten, beobachteten jeden Atemzug. Doch Deine Atmung blieb flach - und wir merkten, wie sehr Du Dich anstrengen musstest. Da wurde uns klar, dass wir Dich keine Wahl hatten. Wir mussten Dich gehen lassen.

Und doch bin ich so froh, dass wir diese letzten Stunden mit Dir noch hatten. Du hast Dir noch einmal den Bauch kraulen lassen. Hast noch einmal auf meinen Beinen gelegen und ein paar Minuten geschlafen, als wäre alles wie immer. Hast Milch bekommen. Diesmal eine Untertasse voll, ganz für Dich alleine. Hast noch einmal Deinen Kopf ganz fest an meinen gedrückt.

Und als wir dann am späten Abend wieder nach Hause kamen - vollkommen verheult und mit Erde an Händen und Kleidung - sahen wir im Bad das grüne Knäuel vor der Badewanne. Du hattest ein letztes Mal auf unseren Teppich gepinkelt und ihn danach fein säuberlich zusammengeschoben. Als wolltest Du die kleine Pfütze verscharren, die Du hinterlassen hattest.

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