Kommentar: Die austauschbare Solidarität

Christian Urban

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16.11.2015, 10:48 Uhr
Kommentar: Die austauschbare Solidarität

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"Ändere Dein Profilbild, um Deine Unterstützung für Frankreich und die Menschen in Paris zu zeigen", forderte das Soziale Netzwerk Facebook seine Nutzer nach den Terroranschlägen von Paris auf. Stimmt der Nutzer zu, wird sein Profilbild durch die Tricolore überlagert. Und die Nutzer machen davon reichlich Gebrauch, schließlich ist es nur ein Klick. Ein Klick für eine gute Tat.

Der gemeine Facebook-Nutzer ist ohnehin ein politisch unglaublich engagiertes Wesen. Nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo war er Charlie (zumindest sagten das damals die meisten Profilbilder), nachdem Washington die Homo-Ehe in den USA für legal erklärt hatte, leuchteten unzählige Portraits in Regenbogenfarben. Und so weiter, und so weiter.

Wenn man sich durch den Profilbild-Ordner mancher Nutzer klickt, findet man sie alle wieder, die völlig austauschbaren Meinungsbekundungen, welche die virtuelle Wegwerf-Gesellschaft in den letzten Jahren zu bieten hatte. Denn was auch immer auf der Welt passiert: Innerhalb kürzester Zeit gibt es dafür das passende Profilbild. Und das wohlig-warme Gefühl, mit der Änderung seines Fotos Teil einer gigantischen, globalen Gruppe zu sein, die für etwas Gutes steht. Man kann im wahrsten Sinne des Wortes Flagge zeigen - ganz bequem, von zu Hause aus.

In den 90ern war das noch etwas anders. Als in Deutschland fremdenfeindliche Ausschreitungen und brennende Asylbewerberheime nahezu an der Tagesordnung waren, musste man wenigstens noch vor die Türe gehen, um an den damals ebenso alltäglichen Lichterketten teilzunehmen.

Dass einige Menschen, die damals mit einer Kerze in der Kälte standen, vermutlich trotzdem weggesehen hätten, wenn in ihrem Zugabteil ein Ausländer zusammengeschlagen worden wäre, spielte da nur eine untergeordnete Rolle. Dann hätten sie sich am nächsten Tag eben ein wenig länger mit ihrer Kerze auf die Straße gestellt. Immerhin waren sie dabei und setzten ein Zeichen. Plakative Präsenz als Selbstzweck.

Nun reicht schon ein Klick. Schnell das Profilbild ändern, dann kann man sich wieder niedlichen Katzenvideos widmen oder den Freundeskreis mit Schnappschüssen seines Mittagessens beglücken. Und das mit gutem Gewissen, schließlich hat man ja etwas Gutes getan und Position bezogen - zumindest virtuell. Und man musste dafür nicht einmal von der Couch aufstehen. Ist das nicht einfach wunderbar?

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