20fach höhere Pestizidwerte

Krebs und Parkinson durch „Schneewittchen-Äpfel“? Organisationen warnen vor Obst aus Süddeutschland

Saskia Muhs

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27.9.2024, 13:09 Uhr
Glänzende Schale, symmetrische Form und keinerlei Makel: Sogenannte Schneewittchenäpfel sind zwar ein Augenschmaus - doch die perfekte Optik hat oftmals einen hohen Preis (Symbolbild).

© IMAGO/Filippo Carlot Glänzende Schale, symmetrische Form und keinerlei Makel: Sogenannte Schneewittchenäpfel sind zwar ein Augenschmaus - doch die perfekte Optik hat oftmals einen hohen Preis (Symbolbild).

Damit die Bodenseeregion weiter Hopfen nach Übersee exportieren darf, hat man hierzulande die Grenzwerte für ein bestimmtes Pestizid erhöht, und zwar um das 20fache. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland berichtet darüber in einer öffentlichen Mitteilung.

Konkret geht es um das chemisch-synthetische Fungizid Folpan 80 WDG mit dem Wirkstoff Folpet. Dies ist in Deutschland eigentlich nur im Hopfen- und Weinbau erlaubt. Es durfte aber für die Saison 2024 auch auf Äpfeln und anderem Kernobst angewendet werden und das sogar bis kurz vor der Ernte. Grund dafür ist das Wetter.

Der Sommer 2024 war auch in der Bodenseeregion regenreich. Das lässt die Gefahr für sogenannte Schorfinfektionen an Kernobst steigen. Bei dem Obstschorf handelt es sich um einen ungefährlichen Schönheitsfehler. Das bisher eingesetzte Pestizid Captan landet über die Luft in der Umgebung und belastet auch Hopfen auf benachbarten Feldern. Der Export dieses Hopfens wäre jedoch gefährdet, weil die Abnehmerländer USA und Japan Captan-Rückstände nicht tolerieren.

Per Notfallgenehmigung wurde deshalb für die diesjährige Anbausaison bereits ein Fungizid mit dem Wirkstoff Folpet erlaubt. Der Einsatz des Pestizids führt jedoch zu Rückständen im Obst, die den EU-weiten Grenzwert deutlich übersteigen. Das BVL hat deshalb den Grenzwert des hochgefährlichen Fungizids in Kernobst national vorübergehend von 0,3 mg pro Kilogramm auf 6 mg pro Kilogramm erhöht. Weil diesjährige Äpfel aus der Bodenseeregion also zwanzigmal höhere Folpet-Werte aufweisen dürfen als in der übrigen EU, darf das Obst auch nur innerhalb Deutschlands verkauft werden. Die Notfallgenehmigung hat damit Auswirkungen auf konventionell angebaute Äpfel, Birnen und Quitten aus den Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg und Lindau.

Schorf auf Obst ist unbedenklich – im Gegensatz zu Pestiziden

Bei dem Obstschorf handelt es sich laut Corinna Hölzel, BUND-Pestizidextertin, um ein rein ästhetisches Problem. "Schorf ist im Gegenteil zu Pestizidrückständen kein Risiko für die Gesundheit", schreibt sie im Juli in einer Stellungnahme zu der damals noch geplanten Notfallzulassung.

Das Umweltinstitut München e. V. berichtet, dass der Pestizidwirkstoff Folpet laut Einschätzung der EU gesundheitsschädlich beim Einatmen sei und schwere Augenreizungen verursachen könne, sowie allergische Hautreaktionen und vermutlich Krebs erzeugen könne. Nicht nur für den Menschen ist er demnach eine Gefahr, er sei auch sehr giftig für Wasserorganismen. Außerdem zeigen Studien, dass der Wirkstoff neurotoxisch ist und Parkinson auslösen kann.

Parkinson ausgelöst durch Pestizide wurde in Deutschland erst kürzlich als Berufskrankheit von Landwirten anerkannt. Der Zusammenhang zwischen dem Auftreten der bisher unheilbaren neurodegenerativen Erkrankung und dem Einsatz von Pestiziden wurde maßgeblich durch die Auswertung von kalifornischen Pestizid-Anwendungsdaten festgestellt, schreibt das Umweltinstitut auf seiner Website.

Obstbauern am Bodensee wollen Folpet nicht einsezten

Kurz nachdem das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit höhere Pestizid-Rückstände für Folpet in Bodensee-Äpfeln genehmigt hatte, verkündete die "Arbeitsgemeinschaft der Erzeugerorganisationen und Obstbauvereine am Bodensee" vor kurzem, dass viele Obstbaubetriebe Folpet nun wohl doch nicht einsetzen werden. Die trockene Witterung habe es nicht nötig gemacht, außerdem hätten Großkunden die Abnahme des Obsts mit den hohen Pestizidrückständen abgelehnt, berichtet das Umweltinstitut München e. V. am 4. September. Welche Großhändler genau das Obst abgelehnt haben, ist nicht bekannt, so das Umweltinstitut München auf Nachfrage unserer Redaktion. Das sei auch nur eine kleine Entwarnung für die Verbraucher: "Ob tatsächlich alle Obstbaubetriebe der Region auf die Anwendung von Folpet verzichten, bleibt abzuwarten. Wir werden das weitere Geschehen diesbezüglich im Blick behalten" verspricht das Institut auf seiner Website.

Mut zur Hässlichkeit!

Um auf Nummer sicher zu gehen, empfiehlt das Institut den Kauf von zertifiziertem Bio-Obst – am besten von ökologisch wertvollen Streuobstwiesen in der eigenen Region. Im Bio-Anbau dürfen keine chemisch-synthetischen Pestizide eingesetzt werden und auf biozertifizierten Streuobstwiesen werden oft gar keine versprüht.

Der BUND spricht sich zudem dafür aus, vermehrt Obst mit unbedenklichen Schönheitsfehlern zu vermarkten und zu kaufen, damit der wirtschaftliche Druck märchenhaft schönes Obst ohne den kleinsten Makel (daher der Name "Schneewittchenäpfel) zu produzieren abnimmt und somit auch die Verwendung gefährlicher Pestizide.

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