Schockierender Fall
Prozess um „Todespfleger“ in München: Auch Hans Magnus Enzensberger war Patient
22.1.2023, 16:11 UhrEs ist ein grausiger Verdacht: In einem Krankenhaus soll jemand gearbeitet haben, der Patienten das Leben nehmen wollte. Ausgerechnet dort, wo um das Leben von Menschen gekämpft wird. An Dienstag, 24. Januar, beginnt am Landgericht München I der Mordprozess gegen einen Krankenpfleger aus einer Münchner Klinik. Die Staatsanwaltschaft München I hat den 26-Jährigen wegen Mordes in zwei Fällen sowie wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen angeklagt.
Einer der Patienten des Angeklagten war Hans Magnus Enzensberger, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet. Die Tatserie fand laut Staatsanwaltschaft im Jahr 2020 statt. Enzensberger, einer der prägenden Autoren der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur, zählt nicht zu den Todesopfern in dem Fall, er starb zwei Jahre später, im November vergangenen Jahres, im Alter von 93 Jahren. Sein Umfeld und Verlag äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht zu dem Fall.
Ein 80 und ein 89 Jahre alter Patient des Angeklagten überlebten die Tatserie nicht. In ihrer Anklage geht die Staatsanwaltschaft von zwei Mordmerkmalen aus: Heimtücke und niedrige Beweggründe. Der Pfleger soll die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer ausgenutzt und sie sediert haben, damit er laut Anklage seine Ruhe hatte, um auf dem Handy zu spielen oder seinen Kater auszukurieren. „Hierbei nahm er in Kauf, dass die Sedierung der Patienten tödlich wirken konnte“, teilte die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung mit.
Geständnis ablegen
Nach Angaben seines Anwalts Ömer Sahinci wird der Angeklagte die Vorwürfe im Prozess einräumen: „Mein Mandant wird sich in der Hauptverhandlung selbst ausführlich zu den Taten äußern und ein Geständnis ablegen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Fall hatte im November 2020 erstmals Schlagzeilen gemacht. Von einem mutmaßlichen „Todespfleger“ war die Rede. Damals teilten die Behörden mit, dass sie in drei Fällen wegen des Verdachts auf versuchten Mord ermitteln - später zeigte sich dann, dass das nur die Spitze des Eisbergs war. Neben zwei vollendeten wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann auch sechs versuchte Morde vor.
Die Taten waren anderen in dem Krankenhaus aufgefallen: Ein aufmerksamer Oberarzt am Klinikum rechts der Isar war stutzig geworden, weil sich der Zustand von zwei Patienten plötzlich und unerklärlich verschlechtert hatte. Interne Ermittlungen ergaben Hinweise auf einen ähnlichen Fall, bei dem auch der Beschuldigte Dienst hatte. Der Verdacht: Der Pfleger spritzte den Patienten eine Überdosis eines Medikaments, das ihnen nicht verabreicht werden sollte. Spuren dieser nicht verordneten Medikamente wurden im Blut der Patienten gefunden. Die Klinik zeigte den Pfleger an.
Der ausgebildete Altenpfleger, gebürtig aus Dorsten in Nordrhein-Westfalen, war seit Juli 2020 über eine Zeitarbeitsfirma in die Klinik gekommen und dort vor allem auf der sogenannten Wachstation im Einsatz, einer Zwischenstation zwischen Intensiv- und normaler Station, auf der Kranke rund um die Uhr betreut wurden. Die Ermittlungsgruppe der Polizei, die sich mit dem Fall befasste, trug deshalb den Namen „Wachstation“.
Ähnliche Fälle
Der Fall erinnert an den als „Todespfleger“ bekannt gewordenen Patientenmörder Niels Högel, den das Landgericht Oldenburg 2019 wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt hatte. Er war in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst als Krankenpfleger in der Intensivmedizin tätig und tötete dort nach Feststellung des Landgerichts insgesamt 85 Patienten, indem er ihnen medizinisch nicht indizierte Medikamente verabreichte.
Tötungsdelikte in der Pflege machen deutschlandweit immer wieder Schlagzeilen: Anfang Oktober 2020 hatte das Landgericht München I einen Hilfspfleger wegen Mordes an drei Patienten zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Der Mann aus Polen hatte alten Menschen, die er pflegen sollte, Insulin gespritzt, das als Überdosis tödlich sein kann.
2016 verurteilte das Landgericht München I eine Hebamme des Klinikums Großhadern wegen siebenfachen Mordversuches im Kreißsaal zu 15 Jahren Haft. Nach Überzeugung des Gerichts hatte die Frau Patientinnen bei Kaiserschnitt-Geburten heimlich Blutverdünner gegeben. Ohne Notoperationen wären sie gestorben.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen